Die Himmelsbraut
eine Last. Oft lag sie des Nachts wach und fand kaum Luft zum Atmen. In anderen Nächten sehnte sie sich plötzlich so heftig nach Phillip, dass sie still zu weinen begann.
«Gott hat den Menschen als geselliges Wesen geschaffen – wie kann er wollen, dass wir uns einschließen und absondern?», flüsterte sie Vrena zu, bei einer der seltenen Gelegenheiten, die ihnen noch zum Gedankenaustausch blieben. «Ich frag mich, wie du das aushältst. Eingesperrt zu sein so dicht bei deiner Heimatstadt.»
Vrena zuckte die Schultern und schwieg. Verunsichert hielt Antonia mit dem Kehren inne. Sie hatten Putzdienst im Novizenhaus, ganz ausnahmsweise nur sie beide. Mutter Petronella achtete ansonsten streng darauf, dass die Novizinnen sich gegenseitig bei der Einhaltung der Regeln überwachten, und dass sich Vrena und Antonia als dicke Freundinnen darum wenig scherten, wusste sie längst.
«Fühlst du dich etwa zu diesem Stand von Gott berufen?», bohrte Antonia weiter. «Sind wir nicht alle mehr oder weniger hier hineingezwungen durch die Umstände? Ich bin doch nicht die Einzige, die an dieser Art zu leben leidet. Dorothea höre ich nachts manchmal leise schluchzen, andere haben einen wehmütigen Blick.»
«Das hättest du vorher wissen sollen», gab Vrena ungerührt zurück. «Jede von euch. Es soll niemand in die Küche gehen, wenn er die Hitze nicht verträgt.»
Mit einem Mal fiel Antonia auf, wie hart, wie kalt Vrena ihr gegenüber geworden war. Früher hatten sie sich oft bei den Händen gefasst oder in die Arme genommen. Hatten sich heimlich über andere lustig gemacht. Wie eine Schlafwandlerin wirkte sie jetzt oder eine hölzerne Puppe, langsam und kraftlos in ihren Bewegungen, mit stumpfem Blick. Von ihrer einstigen Redseligkeit war nichts mehr geblieben, dazu kasteite sie sich mit Bußübungen, fast schlimmer noch als Magdalena. Womöglich war sie noch verzweifelter als sie selbst, schoss es Antonia durch den Kopf. Aber warum nur? Sie machte einen letzten Versuch.
«Was ist mit dir bloß geschehen? Du warst immer so lustig, so frech, so …»
«Hör auf!», unterbrach Vrena sie. «Das war ich nicht wirklich. Damit hab ich mich selbst getäuscht, um mich abzulenken – von meiner Traurigkeit, von diesem dunklen Etwas. Das sitzt in mir wie ein Dämon. Und den gilt es zu bekämpfen, das weiß ich nun dank Mutter Camilla.»
Antonia stieß wütend die Luft aus. «Mutter Camilla – wenn ich das schon höre! Die ist doch nicht ganz richtig im Kopf. Hat
sie
dir etwa von Dämonen erzählt? In dir ist doch nichts Schlechtes, nichts Krankes.»
«Und ob! – Willst du wirklich wissen, warum ich hier bin? Warum ich nirgendwo anders sein kann als in einem Kloster? Weil mich ekelt vor der Welt da draußen. Und weil ich keine Eltern habe, genau wie du.»
Antonia war verwirrt. «Aber – du hast doch Eltern. Ich hab sie selbst gesehen.»
«O nein. Ich wünschte, dass die, die sich meine Eltern nennen, schon gestorben wären, als ich noch klein war.» Ihre Stimme war so leise geworden, dass Antonia sie kaum noch verstand. «Es liegt ein Fluch auf mir. Mein Bräutigam war nicht der Erste, der sich an mir vergangen hat. Ich hab das alles schon etliche Male mit diesem Widerling, der mein Vater ist, erlebt. Seitdem hab ich keinen Vater mehr. Und keine Mutter. Weil sie das stillschweigend geduldet hat.»
21 Abtei Marienau, Herbst 1521
L asst mich endlich rein! Ich will mit meiner Braut sprechen.»
«Und wenn Ihr noch so schreit: Ihr dürft nicht ins Kloster. Heute ist Sonntag und somit keine Besuchszeit. Verschwindet also.»
In dem Maße, wie Phillip unhöflicher wurde, wurde auch der Tonfall der Pförtnerin pampiger. Es war dieselbe wie beim letzten Mal, doch sie schien ihn nicht wiederzuerkennen.
«O nein, den Gefallen tu ich Euch nicht, gute Frau. Wenn keine Besuchszeit ist, dann will ich mit der Äbtissin reden.»
«Da könnt Ihr warten, bis Ihr schwarz werdet.»
Die Luke krachte mit solchem Schwung zu, dass der kleine Fensterrahmen zitterte. Zornig griff Phillip nach dem Seil der Glocke und läutete ohne Unterlass. Bis schließlich die Pförtnerin wieder ihre Nase herausstreckte.
«Hört auf damit! Hört sofort auf. Wenn Ihr Euch ruhig verhaltet, will ich sehen, ob die Mutter Oberin Zeit für Euch hat. Das kann indessen dauern.»
Phillip atmete tief durch. «Danke.»
Es war ihm gleich, ob er eine Stunde oder fünf warten musste. Hauptsache, er würde sein Anliegen vorbringen können. Dass er nämlich nur zusammen
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