Die Himmelsbraut
hatte. Dachte an Reinbolt Birkelnuss, dem sie zur Ehefrau versprochen war, und daran, was für eine Last das Leben mit ihm gewesen wäre.
An Phillip zu denken verbot sie sich seit Vrenas Tod. Bislang erfolgreich, und doch schien die Hoffnung stärker als ihr Wille. Die letzten beiden Nächte hatte sie nämlich davon geträumt, dass er sein Versprechen einlöste und sie auf einem weißen Ross durchs Klostertor in die Freiheit führte.
Sie saß mit Dorothea auf einer der Lesebänke im Kreuzgang. Für diesmal waren sie von ihrer Magistra ausdrücklich dazu ermuntert worden, sich auszutauschen. Je zwei und zwei sollten sie sich zusammentun, um sich im Innersten zu prüfen angesichts des baldigen Endes ihres Noviziats. Wer sich unsicher sah bezüglich des ewigen Gelübdes, der sollte sich heute bei der Äbtissin zum Gespräch einfinden. Bis auf drei Mädchen, die des Lateins nicht mächtig genug waren, waren die übrigen Novizinnen zur Profess am kommenden Sonntag zugelassen. Dafür hatten sie, wie es die Regel gebot, jede einzelne Nonne um Einverständnis bitten müssen, und ihre Äbtissin persönlich hatte sie in den scholastischen Wissenschaften unterrichtet, damit sie künftig die heiligen Schriften besser verstehen und auslegen konnten.
Antonia strich über ihren blütenweißen Schurz. O ja, sie hatte Zweifel, quälende Zweifel. Erst recht nach jener Novembernacht, in der Vrena ihrem Leben gewaltsam ein Ende bereitet hatte. Dorothea hatte sie am frühen Morgen gefunden, ausgerechnet die in ihrer Art noch so kindliche Dorothea, die über den Anblick des vom Deckenbalken hängenden Leichnams ums Haar den Verstand verloren hätte. Ihr gellender Schrei hatte die Mädchen aus den Betten fahren lassen. Antonias Schwester war als Erste zur Stelle gewesen, hatte die wimmernde Dorothea festgehalten, während Agnes die anderen Mädchen am Betreten der Latrine gehindert hatte, bis erst ihre Novizenmeisterin, dann die anderen Nonnen herbeigestürzt kamen. So war Antonia der grausige Anblick zwar erspart geblieben, doch wochenlang hatte der aufgeknüpfte Leichnam der Freundin sie in ihren Träumen heimgesucht.
Wie konnte ein gütiger Gott so etwas zulassen? Sie und Dorothea waren beide krank geworden über dieses Ereignis, lagen zwei Wochen lang in der Infirmerie – Antonia in jenem Bett, in dem zuletzt auch Vrena gelegen war. An diese Zeit hatte Antonia kaum klare Erinnerungen, bis auf eine: Täglich erschien die Priorin an ihren Betten, um sie zum Gebet aufzufordern mit den Worten: «Bittet und fleht um Gottes Barmherzigkeit für unsere Gemeinschaft, auf dass kein Unheil über uns komme. Auf dass Gott die Todsünde eurer einstigen Mitschwester nicht an uns sühnen wird.»
Für das eigene Wohl also, nicht für das Seelenheil Vrenas sollten sie beten, die ohnehin für die Hölle verdammt sei. Doch Antonia wie auch Dorothea taten genau Letzteres, beteten für ihre Freundin und gaben dabei einander Trost.
Nachdem sie den Krankensaal beide zugleich wieder verlassen durften, erfuhren sie, was mit Vrenas sterblicher Hülle geschehen war. Durch die Dachluke der Latrine war die Leiche vom städtischen Abdecker ins Freie geschafft worden, damit die Tote nicht den Weg zurück ins Haus finden und den Lebenden Schaden zufügen konnte. Der Klosterschaffner, als Vetter von Vrenas Vater, hatte immerhin durchgesetzt, dass der Leichnam nicht auf dem Schindanger verscharrt wurde, sondern auf dem Stadtfriedhof, wenn auch ohne kirchliche Zeremonie und in ungeweihter Erde neben den totgeborenen Kindern.
Fast zwei Monate waren seither vergangen, und noch immer schreckte Antonia des Nachts auf, weil sie Vrenas Stimme zu hören glaubte. Nur Dorotheas Trost hatte sie davor bewahrt, endgültig zu verzweifeln. Doch das heilige Feuer, das der Glaube in einer angehenden Nonne eigentlich entzünden sollte, vermochte sie nicht zu empfinden; sie hörte kein freudiges Ja in ihrem Herzen, das sie zur ewigen Brautschaft mit Christus berief.
Ihr Blick ging zu Magdalena, die am Ende des Gangs mit Agnes stand und über das ganze Gesicht strahlte. Ihr war anzusehen, dass die bevorstehende Profess zum Höhepunkt ihres bisherigen Lebens werden würde. Fast beneidete Antonia sie darum. Liebend gern hätte sie in diesem Augenblick wie ihre Schwester empfunden, versuchte sich sogar einzureden, dass sie in der Welt draußen gar keinen Platz mehr hatte, dass sie ihre Familie, ihren Halt längst in der Gemeinschaft der Klosterfrauen gefunden hatte. Vergebens.
Ohne
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