Die Himmelsbraut
jemand, den Gott mit besonderen Gnadenbeweisen beschenkte.
«Ich weiß nun, wie der Heiland sich gefühlt haben muss, als er ans Kreuz geschlagen wurde», hörte Antonia sie einmal mit heller Stimme der Priorin sagen, die ihr verzückt lauschte und dabei Tränen in den Augen hatte – ein Anblick, der in Antonia fast so etwas wie Abscheu aufkommen ließ. «Ach, ehrwürdige Mutter Camilla. Ich spüre die Schmerzen an meinen eigenen Händen und Füßen, als ob man mich selbst ans Kreuz nageln würde!»
Erschrocken dachte Antonia an all jene Geschichten, die im Kloster herumschwirrten, von Frauen, denen beim Betrachten der Herrenmarter ihr Herz so wund wurde, dass es zu bluten begann; die blutige Tränen vergossen oder Blut schwitzten oder plötzlich die Wundmale Christi am Leib hatten. Oder gar endeten wie jene Schwester Guta, eine Dominikanerin im Schwäbischen, die sich in ihrem Verlangen nach Kasteiung die eigenen Hände mit den Zähnen zerfleischt hatte. Antonia hatte Angst, dass es mit ihrer Schwester ebenso ausgehen könnte.
Indessen war sie nicht die Einzige, die Magdalenas Gebaren mit Argwohn beobachtete. Nachdem der Propst, als ihr Beichtvater, sie vor versammeltem Konvent mit scharfen Worten zurechtgewiesen hatte, der Teufel habe ihre Sinne verführt und sie solle sich solchen Heimsuchungen künftig widersetzen, hatte auch Mutter Lucia sie gerügt, wenn auch mit sanfteren Worten. «Nicht ins Leiden, sondern in die Liebe Jesu Christi sollt ihr euch einfühlen.»
25 Abtei Marienau, Dezember 1522
A m letzten Sonntag vor Weihnachten war Magdalena nach dem Empfang der Kommunion lautlos in sich zusammengesackt und zu Boden gestürzt, wo sie ohne Bewusstsein liegen blieb. Die Mitschwestern glaubten sie in einem Zustand der Verzückung, raunten und flüsterten sich aufgeregt zu, erst recht als es angeblich nicht einmal drei Frauen gelungen war, sie aufzurichten. Antonia wie auch Mutter Lucia indessen erkannten, dass Magdalena durch ihr übertriebenes Fasten und ihre körperlichen Kasteiungen vollkommen entkräftet war. Gemeinsam trugen sie den federleichten Körper hinüber in die Infirmerie, wo Magdalena erst zwölf Stunden später wieder zu Bewusstsein kam.
«Ich habe eine große Bitte an dich, Schwester Antonia», wandte sich die Äbtissin mit sorgenvollem Gesicht an Antonia, während sie am Krankenbett wachten. «Hab ein Auge auf sie. Gib ihr Halt, hilf ihr, in der Welt zu bleiben.»
Da begriff Antonia, dass sich die Verhältnisse umgekehrt hatten. War sie einst in der Hoffnung nach Marienau gekommen, Trost bei ihrer älteren Schwester zu finden, lag es nun an ihr, Magdalena beizustehen und ihr Rückhalt zu geben. Vielleicht war ja genau das ihre neue Aufgabe?
«Ich will es versuchen, ehrwürdigste Mutter. Aber sie spricht nicht mit mir. Ich bin ihr gleichgültig.»
«Das ist nicht wahr. Sie verwindet nur nicht, dass du anders bist und ihr in ihrer Art Gläubigkeit nicht folgst.» Sie seufzte leise, und Antonia erkannte, dass auch die Äbtissin sich ernsthaft sorgte. «Bleibe bei ihr, bis sie wieder erwacht. Derweil bist du von Arbeit und Stundengebet freigestellt. – Und dann sprich mit ihr!»
Nachdem Magdalena wieder zu sich gekommen war, mühte Antonia sich vergebens, ihr ein Wort zu entlocken.
«Warum antwortest du mir nicht? Warum liegst du da und starrst mich an, mit offenem Mund? Ist das jetzt deine Art zu beten?»
Magdalena schwieg.
«Weißt du was? Du machst mich wütend, wie du da so liegst gleich einer lebenden Toten. Glaubst du im Ernst, das ist Gott zum Gefallen? Im Gegenteil: Das ist ganz und gar lächerlich!»
Ihre Schwester schwieg weiterhin, mit aufgerissenen Augen, mit offenem Mund.
«Oder hast du gar den Verstand verloren? Hast du dich um den Verstand gehungert und gegeißelt? Ich will dir was sagen, Magdalena: Mutter Lucia ist eine gute Frau, eine sehr kluge Frau. Eine bessere Äbtissin könnte es gar nicht geben. Und trotzdem frage ich mich manchmal, was das für ein Leben ist, das ich hier führe. Warum kann ich nicht Gott dienen, indem ich Gänse oder Schweine hüte?» Sie seufzte. «Wenn du wüsstest, wie oft ich schon daran gedacht habe, diesen kalten, hohen Mauern zu entfliehen, die uns den Blick auf Gottes Schöpfung verstellen. Irgendwohin, wo mich niemand kennt.»
In ihrer plötzlichen Schwermut hätte Antonia fast übersehen, dass ihre Schwester die Lippen bewegte. «Das darfst du nicht», meinte sie zu verstehen.
«Was sagst du?»
Langsam hob Magdalena den Arm
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