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Die Himmelsbraut

Die Himmelsbraut

Titel: Die Himmelsbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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und fasste Antonias Hand. Ihr Griff war erstaunlich fest.
    «Du darfst nicht fort – du musst bei mir bleiben.»
     
    Mutter Lucia erwies sich tatsächlich als die kluge Äbtissin, für die Antonia sie hielt. Sie wies Magdalena ein Amt zu, kaum dass sie wieder auf die Beine kam: Sie sollte der Siechenmeisterin zur Hand gehen, denn Kranke gab es in diesem Winter in Marienau mehr als genug. Das schien genau das Richtige für Magdalena zu sein. In tiefster Demut sorgte sie für Sauberkeit im Krankensaal, wusch den Schweiß der Fieberkranken ab, reinigte und verband stinkende Wunden, wechselte die Bettwäsche, wenn Erbrochenes darin lag, küsste den Schwerkranken die Füße und betete für sie.
    Allmählich wurde sie ausgeglichener. Über ihre Visionen, ihre Erscheinungen verlor sie kein Wort mehr. Vielleicht hatte es ja aufgehört – zumindest Antonia hoffte darauf. Stattdessen las Magdalena viel in ihrem Brevier oder in der
Legenda aurea
, einer Sammlung von Heiligengeschichten. Und des Nachts blieb es in ihrer Zelle ruhig.
    Auch Antonia bekam ein neues Amt zugewiesen. Sie wurde zur Schreiberin ernannt und verbrachte nun täglich zwei, drei Stunden im Schreibzimmer des Äbtissinenhauses, um nach Mutter Lucias Vorgaben das Konventstagebuch zu führen. Sie selbst am Stehpult, die Äbtissin aufrecht in ihrem Lehnstuhl, verzeichnete sie Renovierungsmaßnahmen an den Klostergebäuden, Altarweihen und Messfeierlichkeiten, die Aufnahme neuer Novizinnen und Kandidatinnen, den jährlichen Besuch des Vaterabtes aus Lützel oder auch Unglücksfälle wie den Brand in der Schmiedewerkstatt und den tödlichen Unfall eines Laienbruders, der von der Leiter gestürzt war.
    Hin und wieder diktierte ihr die Äbtissin kurze Notizen, die die Entwicklungen außerhalb des Klosters betrafen. Dabei erfuhr Antonia, dass Dr. Martin Luther in der Stille seiner Schutzhaft auf der Wartburg das ganze Neue Testament in die deutsche Sprache übersetzt hatte und dass dieses Druckwerk nun allerorten käuflich zu erwerben war. Dass mehr und mehr Nonnen und Mönche aus ihrem Konvent austraten und einige von ihnen sogar heirateten. Dass die Reichsritterschaft mit Feuer und Schwert für diesen neuen Glauben und gegen die hohe Geistlichkeit kämpfte und dafür hundertfach mit dem Leben bezahlen musste, dass also die Glut von Luthers Gedanken längst einen Flächenbrand entfacht hatte. Ja, sogar hier ins Kloster hatte jemand, vermutlich der Breisacher Stadtpfarrer Konrad Haas, lutherische Flugschriften geschmuggelt, die nun sicher und gut verwahrt im Schrank der Bibliothek lagen. Über solcherlei Dinge war Antonia selbstverständlich Stillschweigen auferlegt, und sie hielt sich gemäß ihrem Gehorsamsgelübde auch daran.
    Hingegen hatte ihr niemand verwehrt, in den älteren Eintragungen der Chronik zu blättern, die bis vor einigen Monaten noch in Latein gehalten waren. Auch ihren Klostereintritt und den ihrer Schwester fand sie darin beschrieben, einschließlich der genauen Auflistung ihrer Mitgift und persönlichen Habe. Die Neugierde ließ sie weiter zurückblättern, bis sie auf Camilla von Grüningen stieß. Erst ein Jahr vor ihnen war sie nach Marienau gekommen und hatte sogleich das hohe Amt der Priorin bekleidet. Ganz wie Antonia es vermutet hatte, war bei ihrem Eintritt das Kloster mit überaus großzügigen Schenkungen bedacht worden. Zudem stellte sie sich als eine Base des Abtes Theobald zu Lützel heraus. Geld regiert die Welt, dachte Antonia und fragte sich, ob die Macht der Äbtissin so gering war, eine solche Fehlbesetzung zu verhindern.
    Aufgrund der «Gnade ihrer schönen Handschrift», wie es Mutter Lucia nannte, durfte sie bald schon die klösterliche Korrespondenz übernehmen – mal auf Deutsch, mal auf Latein, je nachdem, wer der Empfänger der Briefe war. Da gab es Schreiben an den Vaterabt nach Lützel, Gedankenaustausch mit den Nachbarklöstern zur Beicht- und Bußpraxis, Bitten um neue Bücher für die Bibliothek, Dankesschreiben an Stifter und Spender oder Anweisungen an die entfernt gelegenen Klostergüter.
    Der Schriftverkehr zu den wirklich wichtigen Angelegenheiten und Geschäften wurde allerdings, das wusste Antonia, in der Klosterkanzlei erledigt, vom Propst und seinen Amtsleuten. Doch sie lernte, zwischen den Zeilen zu lesen. Und so erfuhr sie als eine der Ersten, dass sich für einen Teil der Klosterfrauen eine große Veränderung anbahnte. Dass auch sie selbst und ihre Schwester davon betroffen sein würden, ahnte sie

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