Die Himmelsbraut
zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
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Teil 2 Aufbruch ins Ungewisse
26 Unterwegs im Schwarzwald, nach Ostern 1524
E s war kein wirklich schönes Reisewetter. Viel zu kühl für die Zeit der Apfelblüte. Aus der grauen Wolkendecke fiel immer wieder leichter Nieselregen, und der kalte Nordwind ließ die Frauen trotz ihrer wollenen Reisemäntel frösteln. Aber das tat Antonias Freude keinen Abbruch. Gierig sog sie den Geruch frischer Erde in sich auf, von nassem Gras, das den Wegesrand säumte, von dampfenden Misthaufen an den Dorfrändern. Unablässig schweifte ihr Blick über die Landschaften hinweg, über saftige Viehweiden und Weinstöcke im ersten Grün, über das Dunkel der Waldberge, die näher und näher rückten, über Gehöfte und Ortschaften im Regendunst und schließlich zu den Umrissen der Stadt, die vor dem Hintergrund des Schwarzwalds langsam sichtbar wurde.
Munter und kein bisschen erschöpft schritt sie voran, stunden-, ja tagelang hätte sie so weitergehen können. Magdalena hielt sich dicht neben ihr, mit eingezogenen Schultern, den Blick meist zu Boden gerichtet. Ob die offene Landschaft sie verunsicherte? Antonia nahm ihre Hand und warf ihr einen aufmunternden Blick zu.
Dagegen schien die Priorin, die als Einzige im vornehmen Damensitz hoch zu Ross reiste, in bester Stimmung. Man hörte sie immer wieder kichern und scherzen mit dem vollbärtigen Reiter neben ihr. Irgendwann drehte sie sich herum: «Was seid ihr so still, meine lieben Schwestern? Hier unter Gottes freiem Himmel wollen wir doch von unserem Schweigegelübde absehen. Zumindest bis zur Ankunft bei den Mitschwestern in Guntersthal, die uns hoffentlich mit einem kräftigen Nachtmahl aufwarten.»
Sie hatten ihren ersten Reisetag, der quer durch die Rheinebene führte, fast hinter sich, und Antonia mochte sich noch gar nicht vorstellen, was sie am Ziel erwartete. Drei bis vier Tage würde ihre Reise dauern, hatte ihnen Mutter Lucia zum Abschied erklärt. Die erste Etappe werde bequem zu meistern sein, doch dann führe der Weg steil bergan in den hohen Schwarzwald. Eher
vier
Tage, dachte Antonia, denn sie kamen nur sehr langsam voran. Was weniger an den beiden schwer beladenen Fuhrwerken lag, die auf den holprigen Wegen mitunter bedenklich ins Schwanken gerieten, als an den Klosterfrauen selbst. Keine von ihnen war das stete Marschieren gewohnt, und schon nachdem sie den eher niedrigen Bergrücken namens Tuniberg überquert hatten, hatten die Frauen sich über Blasen an den Füßen beklagt. So waren sie gezwungen gewesen, eine längere Erholungszeit einzuschieben, um sich in einem Mühlbach die Füße zu kühlen.
Ihre Reisegruppe bestand aus den beiden Kutschknechten, vier Nonnen, der Priorin und zwei Laienschwestern: neben einem jungen Ding namens Marthe zu Antonias großer Freude ihre alte Zimmergenossin Ursel aus dem Waschhaus. Zu ihrem Schutz hatte die Stadt Breisach, als weltlicher Schirmherr des Klosters, drei Reiter abgestellt, kräftige, schwer bewaffnete Männer, die angewiesen waren, ihre Blicke von den Frauen fernzuhalten und nur mit der Priorin zu sprechen.
Bis kurz vor ihrer Abreise hatte keine von ihnen gewusst, welche der Nonnen Camilla von Grüningen in das kleine Kloster Liebfrauenwalde, das um geistliche Unterstützung gebeten hatte, begleiten würde. Dann war die Wahl auf Antonia und ihre Schwester gefallen sowie auf Agnes und eine ältliche Chorfrau namens Elisabeth. Antonias Gefährtin Dorothea war nicht dabei, und sie beide hatten beim Abschied bittere Tränen vergossen. Sie würden sich wahrscheinlich nie wiedersehen.
Für die vier Nonnen waren die künftigen Aufgaben in Liebfrauenwalde bereits verteilt: Magdalena sollte das Amt der Almosen- und Siechenmeisterin übernehmen, Agnes das der Sakristanin, die die liturgischen Gerätschaften und Reliquien zu verwahren hatte, jene Elisabeth würde als Kellermeisterin für das Hauswirtschaftliche verantwortlich sein und Antonia selbst als Buchmeisterin die dortige Bibliothek auf Vordermann bringen. Sie wusste, dass dies ein großer Vertrauensbeweis seitens der Äbtissin darstellte, und sie würde Mutter Lucia nicht enttäuschen.
Bei jeder Kurve ging ihr Blick immer wieder prüfend zu dem kleineren der beiden Fuhrwerke. War die schwere Holztruhe darauf auch richtig festgeschnallt? Darin ruhte der – zumindest ihrer Ansicht nach – wertvollste Teil der Ladung: die Bücher für Liebfrauenwalde, in der Mehrzahl Gebets- und Andachtsbücher. Zu
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