Die Himmelsbraut
in deutscher Sprache abzuhalten. Vielleicht hatte die mangelnde Aufmerksamkeit aber auch daran gelegen, dass ihnen zu Ehren ein richtiges Festessen aufgetragen worden war, mit verschiedenerlei Fisch- und Geflügelsorten in Fülle und dazu süßem Rotwein, der Antonia ziemlich schnell die nötige Bettschwere verschaffte. Wie lange schon hatte sie nicht mehr so fürstlich gespeist!
Am nächtlichen Stundengebet hatten sie nicht teilgenommen – nicht einmal Magdalena – , und so konnten sie sich nach der Prim und einem kleinen Frühstück ausgeruht und gestärkt auf den Weg machen. Geschlafen hatten sie im Gästehaus, das noch größer und bequemer ausgestattet war als bei ihnen in Marienau.
Sie zogen das Klostertal hinab, bis sie wieder das Ufer der Dreisam erreichten. Über eine Brücke ging es von hier weiter in die Stadt, über der auf einem Bergsporn die Umrisse einer mächtigen Burg zu erkennen waren. Es musste Markttag sein, denn zahlreiche Bauern zogen mit ihren Karren oder schwer bepackten Rückenkraxen in Richtung Stadttor. Ihre Schritte polterten über die Holzdielen der Brücke, auf der anderen Seite tobten Kinder mit einem jungen Hund über die Uferwiese, ein einzelner Reiter kam herangetrabt und rief ihnen etwas zu, während sein Pferd aufgeregt zu tänzeln begann.
Doch auch heute Morgen ließen sie Freiburg linker Hand liegen. Antonia warf einen letzten Blick auf die Stadt, in der ihr Bruder gelebt hatte, und sprach ein stilles Gebet für ihn. Ihr Weg führte sie nun mitten hinein in das breite Tal der Dreisam, das ohne spürbaren Anstieg in die Berge führte. An den Waldrändern drängten sich kleine Dörfer, einzelne Gehöfte duckten sich unter ausladenden Walmdächern, schwarzbuntes Vieh stand auf den Weiden, schnatternde Gänsescharen kreuzten ihren Weg. Laut hallten jetzt ihre Psalmengesänge durch die Fluren, und Antonia fiel auf, dass von den Bauern und Wanderern, denen sie begegneten, niemand sie grüßte. Einige wendeten sogar unmissverständlich den Blick ab.
In der Nacht hatte es zu regnen aufgehört, und als das Tal allmählich steiler wurde, brach die Sonne durch das Gewölk. Bald schon begannen die schroffen, dunklen Berghänge über dem lichten Grün der Talsohle zu dampfen. Es schien, als würden Land und Himmel verschmelzen. Gewaltig und großartig sah diese Landschaft aus und auch ein wenig beängstigend.
Niemand sang und sprach mehr, als das Tal nun enger, der Aufstieg mühsamer wurde. Dichter und dichter schoben sich die Berghänge heran, bis das Tal vor ihnen zu einer felsigen Schlucht wurde. Deren Eingang war von einem Zollhaus bewacht, besser gesagt: von zwei mit Hellebarden bewaffneten Männern.
Der Anführer ihrer Schutztruppe hob die Hand.
«Wir müssen uns bei den Zöllnern anmelden, ehrwürdige Frau Priorin. Auch wenn ihr Klosterfrauen seid: Einen Blick auf die Wagen werden sie werfen wollen. Ich schlage vor, wir machen so lange eine kurze Rast.»
Sie begaben sich auf den mit Schotter bedeckten Platz vor der Zollstation, auf dem sich bereits andere Fuhrwerke versammelt hatten. Es ging eng und laut zu. Wagenräder knirschten auf dem Kies, Pferde wieherten, Männer lachten oder fluchten, dazwischen balgten sich Hunde. Antonia spürte, wie ihr das Getümmel und Geschrei fast zu viel wurde. Nach dreieinhalb Jahren im Kloster war sie nicht mehr an den lauten Alltag der Menschen gewöhnt. Dazu spürte sie, wie die Blicke einiger Männer an ihnen klebten, hörte anzügliche Bemerkungen wie «Kuttenfurzer» oder «appetitliche Nonnenärsche» heraus.
Nicht nur sie war froh, als es bald schon weiterging. Ihre Wegzehrung, hatte die Priorin versprochen, würden sie an einem gastlicheren Ort zu sich nehmen.
«Dem Himmel sei Dank», murmelte Ursel. «Hier hätt ich kein Ave-Maria länger bleiben wollen.»
Die Pferdehufe hallten laut zwischen den fast senkrechten Felswänden, als es in die feuchte, tief eingeschnittene Schlucht ging. Ein tosender Bach suchte sich hier seinen Weg und kam ihrer Straße mitunter bedenklich nahe. Von dem nackten Felsgestein stürzten an mehren Stellen Wasserläufe in die Tiefe, Rabenvögel kreisten über ihnen mit ihrem lauten «Kra-Kra-Kra». Antonia beobachtete, wie Magdalena neben ihr den Rosenkranz fest in der Hand hielt und unablässig die Gesätze vor sich hin murmelte. Sie selbst hatte keine Angst. Wovor auch? Sie waren eine große Gruppe, noch dazu gut bewacht, und die Natur, mochte sie sich auch noch so wild gebärden, sah sie als ihren
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