Die Himmelsmalerin
Verbissen stocherte Valentin weiter, während Rosi neben ihm unruhig von einem Bein aufs andere tänzelte. Er hatte sich damit abgefunden, dass sie dabei war, und freute sich insgeheim sogar über ihre Gegenwart. Denn es war fast dunkel hier, und die Nacht vor Allerheiligen ließ die Schatten der Toten über die feuchten Wände tanzen.
Ohne Murren war seine Mutter im Katharinenspital auf seinen Plan eingegangen und hatte nicht nur Streuner für die ganze Nacht übernommen, sondern ihm auch den Generalschlüssel für die Keller besorgt. An Rosi aber war ihr Blick so zweifelnd hängengeblieben, dass diese tief errötet war.
»Das werde ich büßen müssen«, hatte die Mutter gesagt, als sie ihm den Schlüssel übergab. »Die Oberin ist streng und hat keinen Sinn für weltliche Vergehen. Aber wenn der Schlüssel euch hilft, Lena zu finden, ist es nicht ohne Sinn.«
Blaue Augen schauten in blaue Augen.
»Danke!«, hatte Valentin gesagt und sie noch einmal an sich gedrückt.
»Hätt ich gar nicht gedacht von der Betschwester«, war Rosis schnippischer Kommentar gewesen. Und dann waren sie in den Keller des Spitals hinabgestiegen, der jetzt, am späten Abend, wie ausgestorben dalag. Hier roch es nach neuem Wein, süß, schwer und ein bisschen vergoren, so dass man allein vom Geruch schon fast betrunken wurde. Ungeniert hatte Rosi sich aus einem Fass bedient und sie mit zwei gut gefüllten Bechern versorgt, die sie auf einen Zug geleert hatten. Zunächst hatten sie die Gewölbe durchquert, die sich unter dem Spitalsplatz befanden. Ordentlich reihten sich Fässer aus Eichenholz an den Seiten auf. Sie wussten beide, dass es außerhalb des Spitalkellers einen Gang gab, der in die Regionen führte, in denen das Spital als größtes Weingut Esslingens manchmal Keller zusätzlich anmietete, und fanden ihn ohne Probleme. Doch jetzt, wo sie die Keller der anderen Weingüter der Stadt betreten wollten, konnte er den Dietrich nicht drehen.
»Ich schaff es nicht«, stöhnte Valentin.
»Lass mich mal.« Rosi drückte ihm das Öllicht in die Hand, nahm das Werkzeug zwischen die Finger und stocherte verbissen im Schlüsselloch herum. »Im Notfall tret ich die Tür ein«, sagte Valentin entschlossen.
»Dazu wird es nicht kommen.«
Das Schloss drehte sich, und die Tür schwang auf. Sie standen in einem Weinkeller, der sich kaum von denen unterhalb des Spitals unterschied. Er war nur etwas kleiner.
»Ich wusste gar nicht, dass du eine so talentierte Einbrecherin bist.«
Rosi lächelte zufrieden. »Einmal unehrlich, immer unehrlich!«
Sie achteten darauf, die Tür hinter sich abzuschließen, durchquerten den Keller und öffneten, diesmal fast ohne Probleme, die Tür zum nächsten. Wieder das gleiche Bild: ein Weinkeller, gut bewirtschaftet, sauber und voller frisch befüllter Fässer. Mit dem Dietrich bahnten sie sich den Weg zum Keller des Nachbarn, wo es schon ganz anders aussah. Die Hausherren kamen scheinbar nicht mit der Arbeit hinterher. Aus einem Fass stank es erbärmlich nach den Resten gepresster Trauben. Als Kilian mit der Lampe herantrat, stob eine Wolke winziger Fliegen von der Maische auf und setzte sich auf ihr Gesicht, die Kleider, die Hände. Eine Ratte hastete über ihre Füße und verschwand zwischen den Fässern.
»Igitt!«, schrie Rosi.
»Was für ein Schlendrian.« Valentin schüttelte missbilligend den Kopf.
»Was suchen wir eigentlich?« Rosi bibberte in der kühlen, feuchten Luft des Weinkellers.
»Irgendwas Verdächtiges. Einen Keller, der leer steht. Spuren von Kilian und Lena oder am besten sie selbst, unbewacht natürlich.«
»Aber …« Rosi fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Wenn der Mörder kein Esslinger ist, und das ist doch inzwischen ziemlich sicher …«
Valentin nickte unwillig.
»Wie kann er dann wissen, dass es in Esslingen zusammenhängende Weinkeller gibt?«
»Keine Ahnung! Er ist eben gut informiert.«
Rosi hielt ihn an seinem gesunden Arm. »Wir sollten umkehren. Wenigstens für heute.«
»Noch einen Keller, und dann machen wir Schluss!« Valentin ging schnurstracks geradeaus. Wenn Rosi ihm nicht folgen wollte, konnte sie es ja bleibenlassen. Im nächsten Keller, den Valentin selbst mit seinem Dietrich öffnen konnte, erlebten sie eine Überraschung. Auf einem dreibeinigen Hocker saß ein alter Mann und bediente sich aus einem Weinfass. Valentin blieb fast das Herz stehen.
»Hallo«, sagte der Weißhaarige und drehte den Verschluss des Fasses auf, so dass der reife
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