Die Himmelsmalerin
haben. Es ist, als hätte sie jemand auf ihr Schweigen eingeschworen.«
Sie winkte Berthe zu, die gerade am Treffpunkt ankam und sich suchend umblickte, deutete auf Valentin und wartete das Nicken ihrer Chefin ab, bevor sie Valentin weiterführte.
»Aber jetzt denkt sie doch …«
»Lass sie doch denken, was sie will«, schlug Rosi vor. »Ich begleite dich einfach ein Stück. Dann läuft dir auch kein Fremder hinterdrein.«
Unternehmungslustig hängte sie sich bei Valentin ein, der gar nicht anders konnte, als sie mitzunehmen. Ärgerlich biss er die Zähne zusammen, aber er musste zugeben, dass sie recht hatte. Die wenigen Passanten schauten sie nur einmal an und wussten, wen sie vor sich hatten: einen Handwerksburschen, der sein billiges Liebchen für eine Nacht abschleppte. Es war die perfekte Tarnung. Rosi lachte und küsste ihn auf die Wange, was ihn furchtbar erröten ließ. Ganz egal, was die Leute glaubten. Valentin war froh, dass sie unter seiner Kapuze nicht den mutmaßlichen Meuchelmörder erkannten. Der Wind flaute auf, griff unter Rosis Rock und pfiff um die Türme der Stadtkirche, auf denen die Steinmetze gerade die Baustelle sicherten. Am Fuß des Südturms, zwischen den Grabsteinen, saß ein kleiner, schwarzweißer Hund. Valentin ließ Rosis Arm los und hockte sich auf den Boden.
»Streuner!« Laut Bruder Thomas war der Hund an dem Tag verschwunden, als man ihn bei Anstetters Leiche gefunden hatte. »Was hast du denn so lange gemacht?«
Vertrauensvoll kam der Kleine näher und leckte seine Hand. »Na klar, du hast die Baustelle gesichert und alle Diebe das Fürchten gelehrt. Oder bist du fremdgegangen?« Er musterte die Steinmetze der Stadtkirche, die gerade mit ihren Werkzeugen die Leitern herunterkletterten. »Der lungert hier schon seit Tagen rum«, brummte der Parlier.
Valentin strich ihm sanft über den Kopf, auf dem das Fell so dünn war, dass er die leichte Knochenstruktur darunter spürte. Ganz klar, Streuner hatte genauso wie er selbst den festen Stand in seinem Leben verloren. »Er ist ein guter Wachhund«, sagte er leise und schaute dem Parlier in die Augen.
»Dieser Winzling! Dass ich nicht lache!«, gab der zurück und machte sich mit seinen Kumpanen ins Wirtshaus davon.
»Wenn die ihn hier nicht schätzen, nehmen wir ihn mit!« Rosi bückte sich, schnappte sich das Hündchen und klemmte es sich unter den Arm. »Dann hast du wenigstens deinen Hund wieder.«
Valentin zuckte die Schultern und schüttelte den Kopf. Wie sollte er ihr erklären, dass er Streuner nur schlecht in Renatas Kellerverlies halten konnte. Ganz stubenrein war er schließlich nicht.
»Das geht schon«, sagte sie. »Im Notfall bleibt er eben bei mir.« Unternehmungslustig sah sie sich um. »Und wohin gehen wir jetzt?«
»Hmm«, sagte er. »Das ist keine so gute Idee.«
»Was?«, fragte sie beleidigt.
»Dass du mich begleiten willst. Es ist kein Ort für … eine Frau.«
Sie stützte den freien Arm in die Hüfte und schaute ihn an, als hätte sie anderes von ihm erwartet. Streuner bellte leise. »Du warst immer der Anführer«, sagte sie leise. »Und ich habe dich gemocht, weil du in deiner Räuberbande keinen Unterschied zwischen Jungs und Mädels gemacht hast.«
»Mach halt, was du willst«, brummte er und ging voraus, ohne sich umzusehen. Rosi folgte ihm mit Streuner auf dem Arm. Jetzt hatte er nicht nur ein Freudenmädchen, sondern auch noch einen zu klein geratenen Hund an der Backe.
44
»Mach schon!«, sagte Rosi und schaute sich um, als ob sie hier, tief unter der Erde, jemand verfolgen würde. Valentin steckte den Dietrich in das Schlüsselloch der Kellertür und drehte, was gar nicht so einfach war, wenn man nur eine Hand zur Verfügung hatte. Sein anderer Arm steckte noch geschient in einer Schlinge. Er atmete tief durch und konzentrierte sich, aber der Dietrich fand die Stelle nicht, an der sich das Schloss wie Butter drehen würde. Mit Hilfe des Generalschlüssels hatten sie die wohlgehüteten und an diesem Abend menschenleeren Spitalkeller durchquert und standen jetzt vor dem ersten fremden Keller, der sie in das Gewirr der Keller unter der Webergasse führen würde. Valentin hielt inne und sah sich um. So weit hinein hatten sie sich noch nie getraut, auch in den wilden Zeiten ihres Daseins als Gassenkinder nicht. Doch heute war alles anders, denn es bestand die Möglichkeit, dass der Mörder Lena im dunklen Labyrinth unter Esslingen gefangen hielt.
»Komm lieber mit dem Öllicht näher!«
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