Die Himmelsmalerin
Wind und wehte ihm den Zipfel seiner Kapuze in die Stirn. Die Gassen waren fast menschenleer. Dunkle Wolken trieben über den Himmel wie die wilde Jagd und versprühten kalten Regen, der sich den wenigen Fußgängern wie Eiskristalle in die Augen setzte. Einer nach dem anderen schlossen die Marktleute ihre Buden und verhängten sie sorgfältig mit Planen.
»Am Abend vor Allerheiligen sollte man daheim am warmen Feuer sitzen, Junge«, warnte ihn ein alter Mann und versteckte seine selbst gebundenen Besen unter der Plane.
Valentin nickte. In dieser Nacht waren die Toten unterwegs, das wusste sogar die kleine Sanna. Er schaute zurück in die wie ausgestorben liegende Straße, in der außer ihm nur ein einziger weiterer Passant unterwegs war. Langsam schlenderte er weiter, damit dieser ihn überholen konnte. Nein! Der andere passte sich seinem Schritt an und blieb weiter hinter ihm. Valentin kam ein Verdacht. Er stellte sich in einen Eingang, zog den Mantel eng an sich, drückte den Rücken gegen die Tür, und sein Verfolger, ein großer Mann mit tief in die Stirn gezogener Mütze, wartete gleichmütig einige Häuser hinter ihm. Nicht gerade ein Könner, dachte er grimmig. Er ging langsam weiter, und der Mann sah sich pfeifend einen geschlossenen und verhängten Marktstand an. Er legte einen Schritt zu, und der Fremde blieb ihm mit Leichtigkeit auf den Fersen. Mistkerle, alle miteinander!, dachte er und verfluchte den Boten des Königs und seine Spießgesellen. Bei dem, was er vorhatte, konnte er beileibe keine Zuschauer gebrauchen! Valentin dachte daran, zum Apothekerhaus zurückzukehren, aber das war unmöglich, denn es würde Renata den Finsterling auf den Hals hetzen. Also streifte er weiter ziellos durch die Stadt und wartete auf die richtige Gelegenheit, um sich in Luft aufzulösen. Der kalte Wind ließ seine Finger und Zehen langsam gefühllos werden. Schade, dass er in kein Wirtshaus gehen konnte, um einen heißen Würzwein zu trinken, aber seine Börse war leerer als leer. An der Ecke zur Zehntgasse stolperte er fast über Rosi, die ihr gelbes Hurentuch ins Gesicht gezogen hatte und sich bibbernd an eine Hauswand drückte.
»Schaffst du an?«, fragte er.
»Du Blödmann«, zischte sie. »Sehe ich so aus, als hätte ich das nötig bei der Kälte?«
»’tschuldigung«, stotterte Valentin.
»Schon gut. Ich warte auf Berthe. Sie holt schnell eine Arznei für die kleine Mia.« Besänftigt schaute sie ihn an. »Wie geht es dir denn?«
»Nicht so gut.« Er schaute sich um. Der Fremde stand vor einer Schenke und musterte die hell erleuchteten Fenster. »Der da, er verfolgt mich.«
»Ist das ein Stadtwächter?« Um ihn besser betrachten zu können, kniff Rosi ihre braunen Augen zusammen. »Lass mich das machen«, sagte sie dann und nahm ihn beim Arm, was den Fremden veranlasste, sich ihnen bis auf wenige Schritte zu nähern. Er stellte sich mitten auf die Straße und glotzte sie blöde an.
»Bedaure.« Rosi schüttelte lächelnd den Kopf und zog Valentin näher an sich. »Ich bin schon vergeben. Später vielleicht, oder wenn du zuschauen willst … Das kostet aber extra.«
Sie sah dem Fremden tief in die Augen und öffnete ihre rot geschminkten Lippen, so dass man ihre regelmäßigen weißen Zähne sehen konnte. Schweigend machte der Verfolger auf dem Absatz kehrt und verdrückte sich. Valentin spürte, wie ihm ein Stein vom Herzen fiel. »Das war …«
»Saumäßig geschickt, ich weiß«, sagte Rosi ohne falsche Bescheidenheit. »Aber was hättest du gemacht, wenn er ja gesagt hätte? Beim Zuschauen, meine ich.«
Ärgerlich spürte Valentin, wie ihm flammende Röte ins Gesicht stieg, und Rosi schüttete sich aus vor Lachen. Sie trug ein safrangelbes Kleid, das am Ausschnitt mit dunklen Rosen bestickt war. Auf jeden Fall zu farbenfroh für eine Dame! An der Brust war es so tief ausgeschnitten, dass Valentin schnell wegschauen musste. Amüsiert griff sie nach seinem Arm und führte ihn eine Häuserecke weiter.
»Und Berthe?«, fragte er.
»Ach, sie wird schon verstehen, dass ich nicht zum Eisblock gefrieren will. Aber jetzt musst du mir auch erzählen, wo du hin willst.«
»Lena ist noch immer verschwunden und Kilian ebenfalls.«
»Und da willst du sie suchen.« Rosi schüttelte nachdenklich den Kopf. »Wir Huren haben versucht, ihre Spur zu finden, aber es ist, als würde man gegen eine Mauer laufen. Fremde sind in der Stadt, doch sie halten das Maul, sogar wenn wir sie mit billigem Fusel abgefüllt
Weitere Kostenlose Bücher