Die Himmelsmalerin
seither im Kloster in Arrest. Sie alle vertrauten dem Roteneck voll und ganz, so dass sie ihm die Tat nicht angelastet haben. Aber so geht der Hass mit einem um.«
»Es ist nie gut, wenn man sich in seinen Hass verbeißt«, sagte Valentin und nahm Kilians Hand.
»Genauso wenig wie in seine Liebe.« Kilian drückte Valentins Hand kurz und legte sie auf die Bettdecke wie etwas sehr Kostbares, mit dem er besser nicht in Berührung kam. »Habt ihr übrigens schon gehört, dass ich hierbleibe?« Er sah sie erwartungsvoll an und fuhr fort, als sie den Kopf schüttelten. »Ich werde Franziskaner und gehe bald nach Köln zum Studium.«
Er deutete auf den Arzt, der sich an seinem Tisch in der Studierstube zu schaffen machte. »Vater Johannes wollte erst nicht, weil er mich zu dominikanisch fand. Aber Bruder Thomas hat sich für mich eingesetzt.«
»Das ist schön«, sagte Lena und freute sich insgeheim, dass Kilian auf diese Weise nie mehr mit dem Prior der Dominikaner in Berührung kommen musste.
»Aber wir bleiben doch Freunde?«, fragte sie.
Valentin nickte. »Auf immer und ewig.«
»Eins habe ich gelernt«, sagte Kilian. »Freundschaft ist so zerbrechlich wie deine Glasfenster, Lena.«
»Und so kostbar wie das Leben«, warf Valentin ein.
»Das man schnell verlieren kann«, sagte Lena ernst. »Glasfenster macht man einfach neu.«
47
»Pass bloß auf, dass du sie richtig verankerst!« Konrad drohte Lionel mit der Faust, der hoch oben auf dem Gerüst im Chor der Kirche stand und die neuen Glasfenster einsetzte.
»Wie könnte ich das vergessen?« Der Burgunder hakte vorsichtig das zweimal erneuerte Bild mit dem Pfingstwunder in seinen Rahmen ein. »Die ersten sechs Fenster hatten übrigens gar keine Anker.«
»Halt lieber den Mund, du Schandmaul!« Konrad schüttelte den Kopf und lachte, aber Lena wusste, dass seine Worte nicht nur scherzhaft gemeint waren. Scheiben, die jemand absichtlich aus ihrem Rahmen fallen ließ … Wer tat denn so etwas? Ein Verrückter? Den Freiburger hatten die Ereignisse bei der Einweihung des Chorfensters zutiefst erschüttert und fast um seinen Glauben an Lionel gebracht, den er für den besten Glasmaler seiner Zeit gehalten hatte. Klar konnte Lionel sie noch einmal neu herstellen, schöner und besser sogar. Aber was zählte, war, dass er in gewissen Dingen unberechenbar blieb.
»Ich will mich einfach auf dich verlassen können!«, rief Konrad, und das Echo des Gewölbes gab seine Worte verdoppelt zurück. Ich auch, dachte Lena.
Der Tag war grau und trüb, doch die neuen Fenster warfen ein diffuses, farbiges Licht in den Chor, das die Düsterkeit des Spätherbstes vergessen ließ. Sie blinzelte und legte den Kopf in den Nacken. Auch das Pfingstbild befand sich jetzt an seinem Platz, und die Gottesmutter inmitten der Jüngerschar schaute liebevoll auf ihre Erdenkinder herunter. Hilf mir, dachte Lena, und wurde prompt erhört.
»Komm doch hoch, Madeleine!«, sagte Lionel. »Du kannst mir beim Einsetzen der Scheiben zur Hand gehen.«
Das ließ Lena sich nicht zweimal sagen. Sie kletterte, so flink sie konnte, die Leitern bis zur obersten Ebene des Gerüsts hinauf. Konrad verließ pfeifend den Chor und machte sich in der Sakristei zu schaffen, wo es zwischen Valentins herumliegendem Handwerkszeug ihre eigenen Werkzeuge einzupacken galt. Lena war zum ersten Mal seit ihrer Gefangenschaft mit Lionel allein, und ihr Herz jubelte. Als sie oben ankam, pochte es genauso vor Aufregung wie vor Anstrengung. Trotzdem war sie so befangen, dass sie die Hände an ihrem Wollkleid abputzte und dann in den Schürzentaschen verschwinden ließ. Es war so unglaublich hoch hier oben, dass ihr die ganze Ausstattung des Raumes, das Chorgestühl der Mönche, der Altar und der arkadenförmige Lettner klein wie Spielzeuge vorkamen. Doch schwindlig war ihr nicht nur von der Höhe allein.
»Madeleine«, sagte Lionel, und der Blick seiner braunen Augen war wärmer als jedes Ofenfeuer. Er trat einen Schritt näher, legte ihr die Hand auf den Rücken und zog sie in seine Arme. Er roch so gut, nach frischem Schweiß, Seife, Leder und ganz einfach nach Lionel. Fast, als sei sie endlich heimgekommen.
»Ich habe mich so nach dir gesehnt«, flüsterte sie und drückte sich an seine Brust. »Aber ich dachte, du würdest nie wieder kommen. Wegen dem Messer.«
Da war ein Berg aus Schmerz in ihr, von dem sie nicht einmal gewusst hatte, dass er existierte. Plötzlich rannen ihr die Tränen über die Wangen, und sie
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