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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sicher, ob es Worte waren oder vielleicht etwas völlig anderes, Geheimnisvolleres. Möglicherweise etwas wie ein Lied. Doch wenn, dann war es ein unendlich trauriges Lied.
    »Ist das. die Sprache deiner.« Arri verbesserte sich fast hastig, ». unserer Heimat?«
    Wenn Lea ihren Versprecher überhaupt bemerkt hatte, überging sie ihn. Ohne den Blick von den schwarzen Wolken am Himmel loszureißen, nickte sie. »Ja. Eine davon.«
    »Eine?«, wiederholte Arri verwirrt. »Hattet ihr. wir denn mehr als eine Sprache?« Diese Vorstellung erschien ihr sinnlos. Wozu sollte ein einziges Volk mehr als eine Sprache haben? Sie fand es schon höchst verwirrend, dass die Menschen in ihrem Dorf einen anderen Dialekt als die in den Nachbardörfern sprachen, sodass es manchmal schwer war, sie überhaupt zu verstehen. Trotzdem nickte Lea - wieder nach einem spürbaren Zögern, fast, als folge sie einem sonderbaren Zeremoniell, das es ihr verbot, irgendetwas sofort oder auch nur schnell zu tun, und sie ließ noch einmal dieses leise, nun aber eindeutig bittere Lachen hören, bevor sie antwortete.
    »Wir hatten viele Sprachen, Arianrhod. Die Sprache der gemeinen Menschen, die Sprache der Seeleute, die Sprache der Soldaten und die Sprache der Könige.«
    »Aber warum?«, erkundigte sich Arri.
    »Warum tun Menschen die Dinge, die sie tun?«, gab ihre Mutter zurück. Sie sah sie immer noch nicht an. Ihr Blick suchte den schwarzen Himmel ab, und nun, als Arri ihr nahe genug war, um ihr Gesicht erkennen zu können, sah sie ganz deutlich, dass sie tatsächlich nach etwas suchte, vielleicht auch auf etwas wartete. »Du hast mich gerade gehört, nicht wahr?«
    Arri nickte nur, und ihre Mutter schien die Bewegung zu spüren, obwohl sie nicht zu ihr herabsah. Vielleicht hatte sie auch keine Antwort erwartet.
    »Was du gehört hast, war die Sprache der Hohepriester. Nur sehr wenige Auserwählte durften sie sprechen, denn es war die Sprache, in der wir mit den Göttern geredet haben.«
    »Du warst eine Hohepriesterin?«, murmelte Arri. Ihre Stimme bebte vor Ehrfurcht, obwohl sie diese Erkenntnis nicht hätte überraschen dürfen; sie war nicht neu für sie. Und zugleich war sie es trotzdem. Vielleicht erst jetzt, nachdem sie diese sonderbaren, gleichzeitig unendlich fremdartigen wie berührenden Worte gehört hatte, begriff sie wirklich, was dieses Wort bedeutete. Es war nicht nur irgendein Titel, nicht nur irgendeine Bezeichnung für das, was Männer wie Sarn oder Nor oder die Jäger taten.
    »Fast mein halbes Leben lang habe ich in dieser Sprache mit den Göttern geredet«, fuhr Lea fort. »Und fast mein halbes Leben lang haben sie mir geantwortet. Ich hätte dich diese Sprache so gern gelehrt, Arianrhod. Sie ist wunderschön. Manche sagen, sie sei so alt wie die Welt, und andere behaupten, sie allein sei es, die die Götter zum Leben erweckt habe.«
    »Und was davon ist nun wahr?«, fragte Arri.
    »Ich weiß es nicht«, gestand Lea. Sie klang jetzt nicht mehr bitter, sondern allenfalls ein wenig traurig; aber nicht sehr.
    »Und. wirst du mich lehren, sie zu sprechen?«, fragte Arri.
    Diesmal verging eine lange, wirklich sehr lange Zeit, bis ihre Mutter antwortete. Sie blickte noch immer in den Himmel hinauf, doch ihre Hand, die auf Arris Schulter lag, schien mit einem Mal schwerer zu werden, als wäre ein Teil ihrer Kraft aus ihrem Körper gewichen, sodass sie sich mit der Berührung, die ihr bisher Schutz und Sicherheit vermittelt hatte, jetzt auf sie stützte. »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich es nicht mehr kann«, antwortete Lea leise. »Ich habe sie verlernt.«
    »Aber du hast sie doch gerade noch.«, begann Arri und brach mitten im Satz ab, als ihre Mutter traurig den Kopf schüttelte. »Was du gehört hast, das waren nur die Worte. Aber ich fürchte, sie allein reichen nicht. Es sind nicht die Worte, die die Götter zum Leben erwecken, sondern das, was sie bedeuten.«
    »Das verstehe ich nicht«, sagte Arri, und diesmal lächelte ihre Mutter. »Irgendwann wirst du es verstehen. Wenigstens hoffe ich das. Vielleicht wirst du klüger sein als ich, wenn diese Welt dir die Gelegenheit dazu lässt.«
    Der Wind frischte auf, und obwohl er noch immer nicht wirklich stark war, reichte er doch, eine Lücke in die schwarze Wolkendecke über ihnen zu reißen, sodass sie das Funkeln der Sterne darüber erkennen konnten, und es war seltsam - Arri konnte ihrer Mutter ansehen, dass sie nicht nur darauf gehofft, sondern ganz genau gewusst hatte, dass

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