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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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über die größer werdende Entfernung hinweg. Warum starb er nicht endlich? Warum starb er nicht endlich?
    Mehr torkelnd als rennend hetzte sie auf das Ende des Stollens zu, fiel auf die Knie, rappelte sich wieder hoch und fiel abermals, bevor sie den Schacht und die Leiter erreichte und mit zitternden Fingern nach den groben Sprossen griff. Die Schreie hinter ihr wurden immer noch lauter, und als Arri in die Höhe zu klettern versuchte, glitten ihre Finger im ersten Moment ab, denn sie waren glitschig von ihrem eigenen Blut.
    Erst beim zweiten Anlauf gelang es ihr, festen Halt zu finden und sich mühsam in die Höhe zu ziehen. Die rechteckige Öffnung am oberen Ende des Schachtes schien endlos weit entfernt; sie musste sich viel tiefer unter der Erde befinden, als sie angenommen hatte.
    Hand über Hand, immer langsamer werdend und blutige Abdrücke auf den Leitersprossen hinterlassend, kletterte Arri weiter in die Höhe, auf einer Leiter, die durch einen bösen Zauber im gleichen Maße länger zu werden schien, in dem sie sie erklomm. Immer wieder glitten ihre Finger von ihrem unsicheren Halt ab, und mehr als einmal war sie fest davon überzeugt, im nächsten Moment abzustürzen und auf dem tief unter ihr liegenden Boden zerschmettert zu werden.
    Das geschah nicht, aber kurz vor dem Ziel verließen sie endgültig die Kräfte, sodass sie innehalten und sich an die Sprossen klammern musste, um wieder zu Atem zu kommen. Mit klopfendem Herzen sah sie nach unten und stellte fest, dass das, was ihr wie eine schiere Endlosigkeit vorgekommen war, in Wahrheit geradezu lächerlich kurz war: kaum ein Dutzend Sprossen, die noch dazu nicht annähernd so weit auseinander lagen, wie sie gemeint hatte. Roter Feuerschein flackerte unter ihr, und sie glaubte noch immer, Schreie zu hören, weit entfernt und schrill und spitz, doch von unendlicher Qual erfüllt. Aber das konnte nicht sein. Der Mann war längst tot oder starb spätestens in diesem Augenblick.
    Arri gab noch einen Moment zu, bis sie wenigstens halbwegs sicher war, die letzten beiden Sprossen überwinden zu können, dann griff sie mit zusammengebissenen Zähnen nach oben und zog sich keuchend ins Freie.
    Die Leiter endete in einem winzigen, spärlich beleuchteten Raum, der von Schatten und zahllosen Umrissen erfüllt war und kaum Platz für den rechteckigen Ausschnitt im Boden bot, unter dem der Schacht in die Tiefe führte. Mit letzter Kraft ließ sich Arri zur Seite kippen, rollte ein Stück weit von dem gähnenden Abgrund fort und rang keuchend nach Atem. Plötzlich spürte sie, wie erschöpft und ausgelaugt sie war. Sie hatte überall Schmerzen, und selbst das Atmen schien ihr mit einem Male so große Mühe zu bereiten, dass es einer bewussten Anstrengung bedurfte, um ihre Lungen mit Luft zu füllen.
    Aber es war noch nicht vorbei. Da war noch immer der zweite Mann, Nors Krieger, der Runa getötet hatte und der in diesem Augenblick vielleicht auf der Suche nach ihrer Mutter war, um auch sie umzubringen oder ihr etwas vielleicht noch viel Schlimmeres anzutun. Sie musste Lea finden und sie warnen!
    Arri blieb trotzdem noch einige weitere Augenblicke reglos und mit geschlossenen Augen auf dem Rücken liegen, bis sich ihr hämmernder Puls einigermaßen beruhigt hatte und sie wieder halbwegs zu Atem gekommen war, dann stemmte sie sich mühsam und auf zitternden Händen und Knien in die Höhe. Jetzt, wo sich ihre Augen an das veränderte Licht gewöhnt hatten, erkannte sie, dass der Raum nicht so winzig war, wie sie zuerst geglaubt hatte, sondern ganz im Gegenteil erstaunlich groß - nur war er derart mit allen möglichen Dingen und Werkzeugen voll gestopft, dass er drückend eng wirkte; ein Eindruck, den die niedrige, von schweren Balken gestützte Decke noch verstärkte. Es gab nur eine einzige, halb offen stehende Tür, durch die rötlicher Lichtschein und gedämpfte, aber aufgeregt durcheinander redende Stimmen drangen. Das Kind schrie noch immer, und noch immer auf die gleiche, fast unheimlich regelmäßige Weise.
    Arri machte einen Schritt auf die Tür zu und knickte ein. Hastig streckte sie den Arm aus, fand an irgendetwas Halt und erschrak, als sie an sich herabsah. Sie war praktisch nackt. Ihr Rock, den sie krampfhaft mit einer Hand umklammert hielt, hing schief herunter, und die Bluse, vom Saum bis zum Halsausschnitt aufgeschnitten und zusätzlich überall zerrissen, wollte ihr wie ein zerfetzter Umhang immer wieder von den Schultern rutschen; und sie war über

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