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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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unglückseligerweise aber auch alle eines voraussetzten: dass sie laufen konnte, und das noch dazu ziemlich schnell. So, wie sich ihr Knie anfühlte, würde sie in den nächsten Tagen nicht einmal mehr kriechen können, geschweige denn rennen. Hätte sie dem Schmerz gestattet, Gewalt über sie zu erlangen, dann hätte er ihr längst die Tränen in die Augen getrieben.
    Arri spürte, dass sie auf dem besten Wege war, ganz genau das zu tun, ganz einfach, indem sie nur daran dachte, und so verscheuchte sie den Gedanken hastig.
    Vielleicht nur, um sich abzulenken, drehte sie sich umständlich so im Sitzen um, dass sie die schmale Öffnung unter der Decke betrachten konnte. Ihr Knie quittierte die Bewegung mit einer Woge wütender Schmerzen, die bis in ihre Hüfte hinaufschossen, aber Arri biss die Zähne zusammen und achtete nicht weiter darauf. Das Guckloch dort oben war von grauem, unsicherem Zwielicht erfüllt, aber da sie weder die Sonne sehen konnte noch wusste, in welcher Himmelsrichtung dieser Spalt lag, konnte sie nicht sagen, ob es die Morgen- oder Abenddämmerung war. So, wie sie sich fühlte, musste es die Abenddämmerung sein; und zwar die Dämmerung des längsten Tages, den die Welt jemals gesehen hatte. Sie würde einfach abwarten müssen, ob dieses Licht nach einer Weile heller wurde oder in ein paar Augenblicken gänzlich erlosch.
    Sie war also in Goseg. Arri dachte den Gedanken kühl und ohne die geringste Wertung. Eigentlich sollte sie dieses Wissen erregen, trotz allem, hatte sie doch zeit ihres Lebens davon geträumt, das sagenumwobene Heiligtum, von dem nicht nur Sarn allen Ernstes behauptete, es sei der Sitz der Götter, mit eigenen Augen zu sehen. Natürlich hätte sie sich niemals träumen lassen, als Gefangene hierher gebracht zu werden, aber dennoch hätte da zumindest eine Spur von Neugier in ihr sein sollen. Aber sie empfand, nichts. Nicht einmal die lautlos flüsternde Stimme ihrer Vernunft, die noch immer in ihr war und die versuchte, ihr die Zukunft in den schwärzesten nur möglichen Farben auszumalen, vermochte sie wirklich zu berühren. Es kam ihr so vor, als wäre in jener Nacht im Wald etwas in ihr erloschen und hätte nur eine harte, aber nicht mehr schmerzende Narbe auf ihrer Seele zurückgelassen.
    Aber vielleicht war sie einfach zu müde, um einen klaren Gedanken zu fassen. Im Augenblick war sie damit zufrieden, keinen Sack mehr über dem Kopf zu haben und nicht mehr laufen zu müssen. Außerdem hatte sie schrecklichen Durst.
    Arri versuchte, in eine einigermaßen erträgliche Haltung zu rutschen - was ihr nicht gelang -, löste widerwillig den Blick von dem vom grauen Zwielicht erfüllten Rechteck unter der Decke und fuhr sich mit der Zungenspitze über die rissigen Lippen. Sie hatte während der zurückliegenden anderthalb Tage auch nichts zu trinken bekommen. Jemand - sie nahm an, dass es Rahn gewesen war, konnte aber natürlich nicht sicher sein - hatte ihr ein paar Mal ein mit Wasser getränktes Mooskissen gegen das Gesicht gedrückt, sodass sie die Feuchtigkeit durch den Sack hindurch hatte aufsaugen können, was ihren allerschlimmsten Durst zwar gelöscht, aber auch einen widerwärtigen, fauligen Geschmack im Mund hinterlassen hatte, der einfach nicht vergehen wollte. Aber das war auch alles gewesen. Einen Moment lang überlegte sie, so laut zu rufen, bis jemand kam, der ihr Wasser bringen konnte, entschied sich aber dann dagegen. Schon der Gedanke, die Stimme zu heben, kam ihr mühsam vor -ganz abgesehen davon, dass sie vermutlich nur ein jämmerliches Krächzen hervorgebracht hätte - und so elend sie sich auch fühlen mochte, noch war ihr Stolz stärker als ihr Durst.
    Jetzt, als sie ruhiger saß, machte sich eine wohltuende Entspannung in ihr breit, die rasch, aber fast ohne dass sie selbst es merkte, in eine bleierne Schwere überging, welche ihre Glieder und kurz darauf auch ihre Gedanken ergriff.
    Obwohl es so ziemlich das Letzte gewesen war, womit sie selbst gerechnet hätte, musste sie wohl doch eingeschlafen sein, denn mit einem Mal fand sie sich in fast vollkommener Dunkelheit wieder. Der pochende Schmerz in ihrem Knie war zu einem dumpfen, zwar beständigen, aber eigentlich nur noch unangenehmen Druck geworden, und sie hatte Kopfschmerzen, die sich bis in ihren Nacken und die Schultern zogen; eine Folge der unnatürlichen, verspannten Haltung, in der sie sitzend an der Wand eingeschlafen war. Mühsam -und kein bisschen überrascht, plötzlich das Gefühl zu

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