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Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 01 - Die Tochter der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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dass ihre noch frischen jugendlichen Sinne viel schärfer waren als die jedes Erwachsenen, verging doch praktisch kein Tag, an dem sie ihr nicht bewies, dass zumindest sie eine Ausnahme von dieser Regel darstellte.
    »Bleib zurück«, zischte sie, unbeschadet dessen, was sie gerade selbst gesagt hatte, wechselte das Schwert von der linken in die rechte Hand und bewegte sich, seitwärts gehend, nur auf den Zehenspitzen und vollkommen lautlos die Stiege hinauf. Unmittelbar vor dem Vorhang blieb sie stehen und lauschte, und dann drückte ihre Haltung plötzlich nichts anderes als blanke Überraschung aus. Ohne eine Aufforderung abzuwarten, folgte Arri ihrer Mutter.
    Lea war geduckt und durch und durch angespannt unter der Tür stehen geblieben. Mit der linken Hand hatte sie - ohne auch nur den geringsten Laut zu verursachen - den Muschelvorhang beiseite geschoben, sodass Arri an ihr vorbei in die Hütte blicken konnte. Ein leises, auf merkwürdige Weise vertraut erscheinendes Geräusch drang an ihr Ohr. Im allerersten Moment sah Arri so gut wie nichts, aber ihre Augen gewöhnten sich rasch an die Dunkelheit, und dann konnte sie die Verblüffung ihrer Mutter nur zu gut verstehen. Der Anblick, der sich ihr bot, hatte etwas Gespenstisches. Durch die Gucklöcher drang nur das blasse Licht der Nacht herein, sodass sie die Umrisse aller Dinge in der Hütte mehr erahnte als wirklich erkannte, aber das machte das Bild eher noch unheimlicher.
    Sarn, der Dorfälteste, saß in Leas aufwändig gefertigtem, aber bereits an vielen Stellen gerissenen Korbstuhl und hatte Kopf und Schultern gegen die geflochtene hohe Lehne sinken lassen. Er schnarchte mit weit offen stehendem, zahnlosem Mund. Sein mit bunten Federn geschmückter Umhang war im Schlaf über seiner Brust auseinander gefallen, sodass man seinen ausgemergelten, dürren Leib darunter erkennen konnte. Ein dünner Speichelfaden, der im hereinfallenden Mondlicht wie nasses Silber glänzte, lief aus seinem Mundwinkel und besabberte den Kragen seines Federumhangs. Sarn war nicht allein gekommen. Eine zweite, ebenfalls schlafende Gestalt hatte sich zu seinen Füßen zusammengerollt und schnarchte mit ihm um die Wette. Es war zu dunkel, als dass Arri ihr Gesicht hätte erkennen können, aber anhand seiner Gestalt vermutete Arri, dass es sich um Grahl handelte.
    Lea blieb noch einige Augenblicke reglos unter der Tür stehen und schüttelte immer wieder den Kopf, als könne sie einfach nicht glauben, was sie mit eigenen Augen sah. Dann schlug sie mit einem Ruck den Vorhang vollends beiseite und polterte so lautstark in die Hütte hinein, dass die schlafende Gestalt am Boden mit einem Ruck aufsprang und Sarn so erschrocken zusammenfuhr, dass er fast vom Stuhl gefallen wäre. Arri hätte am liebsten laut aufgelacht, aber das wäre vermutlich unangebracht gewesen; irgendwie gelang es ihr, sich zu beherrschen.
    Ihre Mutter schien da weit weniger Skrupel zu haben. Sie lachte zwar nicht schallend auf, sondern beließ es bei einem kurzen, spöttischen Laut, aber irgendwie hörte es sich in Arris Ohren genau so an -und ganz offensichtlich nicht nur in ihren. Grahl funkelte sie zornig an, während Sarn im allerersten Moment einfach nur orientierungslos ins Leere starrte. Schlaftrunken versuchte er sich in die Höhe zu stemmen und wäre um ein Haar nun endgültig vom Stuhl gefallen. Der Stock rutschte ihm von den Knien und polterte so lautstark zu Boden, dass Grahl heftig zusammenfuhr und sein Blick das Gesicht ihrer Mutter losließ.
    »Guten Morgen, die Herren«, sagte Lea ruhig. »Ich hoffe doch, ich habe euch nicht zu unsanft geweckt?«
    Grahl war klug genug, gar nichts zu sagen, sondern fuhr sich nur mit dem Handrücken über das Gesicht und versuchte sich den Schlaf aus den Augen zu blinzeln, während sich Sarn Sabber vom Mund wischte und zumindest zu antworten versuchte. Er brachte im ersten Moment aber nur ein unverständliches Krächzen zustande, räusperte sich und nutzte die gewonnene Zeit, um ein paar Mal zu blinzeln. In die Benommenheit in seinem Blick mischte sich eine Art müder Zorn, der aber wohl mehr aus seinem Verstand als aus seinem Herzen kam.
    »Da bist du ja endlich«, begann er mit immer noch belegter Stimme, räusperte sich erneut und fuhr dann in schärferem Ton fort: »Wo seid ihr gewesen? Der Nachtzenit ist weit überschritten!«
    Lea warf einen flüchtigen Blick zum Guckloch, als müsse sie sich davon überzeugen, dass das auch stimmte, dann schüttelte sie den Kopf

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