Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe
oder zumindest eine Idee – zu fassen glaubte, entwischte er ihm wieder. Es war sinnlos. Er musste es anders versuchen. »Dragosz hat uns alles erzählt, was er von Lea und der Himmelsscheibe wusste.«
»Und er hat euch auch von ihrer Tochter erzählt«, sagte die Todessyre. »Er hat euch alles Wichtige über sie berichtet – ohne selbst auch nur zu ahnen, dass er dir damit das Wissen in die Hand gegeben hat, um dein Volk zu retten – jetzt.«
Zakaan spürte eine Woge heißen Zornes in sich hochsteigen. »Ich kenne diese Lea nicht und weiß von ihrer Tochter kaum mehr als den Namen. Was also sollte mir das weiterhelfen?«
Als er auch diesmal wieder keine Antwort bekam, fügte er lauter hinzu: »Ich verstehe nicht, was du damit sagen willst! Arianrhod ist für uns eine Fremde, sie hat nichts mit unserem Volk und unseren Ahnen zu tun! Wie sollte uns dann ausgerechnet diese Fremde helfen, unser Volk vor dem Untergang zu bewahren?«
»Bedauerlich«, sagte die Todessyre, und es klang beinahe so, als spucke sie das Wort voller Verachtung aus. »Erst näherst du dich der Wahrheit – und dann entfernst du dich wieder Stück für Stück von ihr. Du hast nicht im Geringsten verstanden, was dir die Ahnen sagen wollen. Du hast immer noch nicht begriffen, dass es ausgerechnet Arianrhod sein wird, die über euer aller Schicksal entscheidet.«
Zakaan ballte die Hand zur Faust. »Dann sag es mir!«, verlangte er. »Sag mir, was ich wissen muss, um mein Volk zu schützen!«
Die Todessyre schien sich ein weiteres Stück zurückzuziehen, und Zakaan spürte, dass er schon im Begriff war, sie zu verlieren. Er musste sich zusammenreißen. Wut war etwas, das einem im Kampf helfen konnte, aber nicht hier und nicht jetzt.
Er atmete tief ein und aus und versuchte seinen Mittelpunkt zu finden. Es gelang ihm allerdings nur sehr unvollkommen. Doch immerhin spürte er, wie ihn die Wut mit jedem Atemzug ein Stück mehr verließ, und wie eine Ruhe in ihn einzuströmen begann. »Bitte«, flüsterte er. »Bleib bei mir. Rede mit mir!«
Das rätselhafte Wesen aber schwieg. Doch dann, gerade als Zakaan schon die Hoffnung aufgeben wollte, schärften sich die Umrisse der Todessyre wieder. Und dann sagte sie einen Satz, der Zakaan fast mehr erschütterte als alles zuvor: »Arianrhod ist der Schlüssel zu allem.«
»Arianrhod?«, echote er ungläubig. »Aber wie kann das sein?«
Die Todessyre schien zu zögern, und Zakaan wartete darauf, dass sie fortfuhr. Seine Geduld wurde belohnt.
»Es wird so sein, wie es die Urväter bestimmt haben«, verkündete die Todessyre. »Und du wirst dabei sein, wenn du auf dem Pfad der Wahrhaftigkeit bleibst.«
»Die Urväter …« Zakaan versuchte, irgendeinen Sinn in den Worten der Todessyre zu finden, »Der Pfad der Wahrhaftigkeit …«
»Du wirst erleben, dass Arianrhod das Schwert in die Hand nimmt, um über ihre Feinde zu kommen«, fuhr die Todessyre fort, »und sie wird euch damit bei eurem Kampf unterstützen, wenn ihr die Zeichen rechtzeitig zu sehen bereit seid«, ihre Stimme erstarb zu einem Flüstern, »aber wenn ihr die Zeichen nicht richtig zu deuten versteht, dann werdet ihr untergehen.«
Zakaan fühlte sich benommen, seine Gedanken und Empfindungen drohten abzudriften. Als er erst ein Stampfen und Klopfen hörte und dann ein Gemurmel vernahm, durchzuckte ihn ein jäher Schrecken. Er begriff, dass er dabei war, den Kontakt mit der Todessyre zu verlieren – und damit auch die Aussicht, die Antworten auf die weiteren drängenden Fragen zu erhalten, die in ihm brannten.
»Bleib hier«, bat er. »Bitte, bleib bei mir! Hilf mir, das zu verstehen, was mir die Stammväter sagen wollen!«
»Das werde ich«, antwortete die Todessyre. Die Geräusche um Zakaan herum schienen anzuschwellen, die Vögel sangen lauter, die Insekten summten deutlicher, und auch die Blumen und Pflanzen erstrahlten plötzlich in frischem Glanz. »Aber nur, wenn du dich wahrhaftig daran erinnerst, was du hörtest, als du mich zum ersten Mal gesehen hast.«
»Gehört?« Als er am Fluss gestanden hatte, als kleiner Junge, und zu der Fremden hinübergeblickt hatte, die ihm dort erschienen war?
Er versuchte all die wieder erstarkten Eindrücke um sich herum zurückzudrängen, die übertrieben kräftigen Farben und das überbordende Leben. Er war ja nicht wirklich hier, er saß auf einem alten Fuchsfell auf einer Anhöhe über einem Lager mit einem Häuflein verlorener Menschen zusammen, und er war in eine Trance gefallen –
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