Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
dieses unwirkliche Reich irgendwo zwischen der Welt der Menschen und der der Götter würde ihn nicht daran hindern, in eine Vergangenheit zurückzureisen, die er schon vergessen geglaubt hatte.
    Aber so sehr er sich auch darum bemühte, es wollte ihm doch nicht gelingen, wieder in diese frühere Erinnerung zurückzufinden. Es gelang ihm nicht, die Sorgen und Ängste abzustreifen, die ihn wie eine Geisel gefangen nahmen. Zumindest anfangs. Doch dann überfielen ihn die Bilder der Vergangenheit, die er gerufen hatte, mit ungestümer Kraft, und er spürte auch wieder die Leichtigkeit und Lebendigkeit in sich, die ihn als kleinen Jungen vorangetragen hatten.
    Damals, als er gerade allein durch die Wiesen hatte laufen dürfen … als er zu einem Ausflug zum Fluss aufgebrochen war … Er erinnerte sich wieder, als wäre es gestern passiert …
    Die Todessyre hatte auf der anderen Seite des Flusses gestanden, ein lichtes Wesen, das ihm wie hingezaubert erschienen war, ohne dass er auch nur im Entferntesten etwas von dem Geheimnis ihrer Existenz geahnt hätte. Und nun hatte ihm das gleiche Wesen aufgetragen, auf die Geräusche zu achten, die er damals gehört hatte …
    Die alltäglichen kleinen Laute aus dem Dorf und den Weiden waren zu ihm herübergeweht, das Rauschen des Windes und auch das Plätschern der Wellen … aber nichts anderes …
    Oder doch … Er erinnerte sich daran, dass jemand seinen Namen gerufen hatte. Nicht seine Mutter war das gewesen, sondern eine schwache, helle Stimme: die seines Bruders.
    »Ja«, er nickte, »da war Abdur. Er hätte das Dorf gar nicht verlassen dürfen, dazu war er noch viel zu klein.«
    Er versank in seine frühe Kindheitserinnerung. »Zakaan!«, hörte er seinen Bruder rufen. »Wo bist du?«
    Zakaan riss den Blick von der Fremden auf der anderen Seite des Ufers los und sprang auf, um dem kleinen Abdur entgegenzublicken, der mit zwar ungelenken, aber zielsicheren Bewegungen herangewackelt kam. »Zakaan! Zakaan! Ich hab Angst um dich!«
    Zakaan schüttelte den Kopf. »Geh zurück!«, verlangte er. »Wenn dich Onkel Woratz hier sieht, gibt es Ärger.«
    Abdur gehorchte nicht, sondern beschleunigte ganz im Gegenteil seine Schritte noch einmal. Seine kleinen nackten Füße blieben irgendwo hängen, dann stieß er einen hellen, schrillen Schrei aus, streckte die Hände vor und fiel in die größte Schlammpfütze, die sich zwischen ihm und dem Fluss befand.
    »Obrrraoh«, gurgelte er, als er wieder aufsprang und jede Menge Brackwasser ausspuckte. »Ich hatte einen schlimmen Traum! Da war jemand. Ein Mädchen. Das stand am Fluss und sah zu dir herüber … und es wollte deinen Tod!«
    »Nein, Abdurezak«, flüsterte er, plötzlich wieder zwischen ferner Vergangenheit und einer viel zu nahen Gegenwart hin und her gerissen. »Sie wollte doch nicht meinen Tod. Sie hat mir nur gezeigt, was mit mir passieren könnte, wenn ich nicht den richtigen Weg einschlage.«
    Das Gesicht vor ihm schien zu flackern, und als es dann wieder eine feste Gestalt annahm, glaubte Zakaan tatsächlich in die alten, traurigen Augen Abdurezaks zu blicken, der sein Bruder gewesen war – und den man in seiner Kindheit Abdur gerufen hatte.
    »Ich muss mit Dragosz gehen«, sagte Abdurezak. »Ich habe keine andere Wahl. Ich habe ihm die Treue geschworen. Er ist unser Herrscher.«
    Zakaan starrte seinen Bruder wortlos an. Sie standen wieder am Fluss, wie vor einer Ewigkeit schon. Aber jetzt war es nicht mehr der kleine Abdur, der für ein Gespräch auf Leben und Tod zu ihm gekommen war, sondern der vom Alter gebeugte Erwachsene, den man schon seit Ewigkeiten nur noch Abdurezak nannte.
    »Dragosz ist nach den alten Gesetzen unser Herrscher«, antwortete Zakaan heiser. »Aber nach den alten Gesetzen hätte er seinem Bruder niemals die Frau nehmen dürfen.«
    Abdurezak nickte. »Das ist richtig. Und es ist fürchterlich, was Dragosz getan hat. Es ändert aber nichts daran, dass ich mit Dragosz und Surkija gehen werde.«
    Zakaan starrte ihn eine ganze Zeit wortlos an. Er und sein Bruder hatten sich noch nie für längere Zeit getrennt. Und jetzt wollte ihn Abdurezak verlassen, und das vielleicht für immer?
    »Du gehst mit den Abtrünnigen?«, fragte Zakaan. »Ist es wirklich das, was du willst?«
    »Abtrünnige …« Abdurezak schüttelte den Kopf. »Das ist ein merkwürdiges Wort für diejenigen, die ihrem Herrscher folgen.«
    »Nicht merkwürdig ist es«, schnappte Zakaan. »Es ist sogar das einzig richtige, das einzig

Weitere Kostenlose Bücher