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Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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und feucht, und es tat ihren geprellten Lungen gut, sie einzuatmen. Als sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, fiel ihr Blick auf die Stelle, auf der sie eben noch gestanden hatte. Sie befand sich ein gutes Stück unter ihr, und zwar so weit entfernt, dass sie eigentlich hätte Flügel haben müssen, um hier nach oben zu kommen. Sie musste unverschämtes Glück gehabt haben, dass sie nicht abgestürzt war – oder jemand hatte hier schützend seine Hand über sie gehalten.
    Diesmal erfüllte Arris Herz ein tiefes Gefühl von Dankbarkeit, während sie an Lea dachte.
    Und das war nicht das Einzige, das ihr mehr als seltsam erschien. Während über ihr kein Lichtstrahl mehr durch die nun wieder geschlossene Wolkendecke drang, war sie ein gutes Stück entfernt endgültig aufgerissen. Nachdem Arri einen einigermaßen sicheren Stand gefunden hatte, begriff sie, dass sie nicht nur ein deutliches Stück höher stand als zuvor, sondern auch freie Sicht auf den See hatte. Als wollten ihr die Götter das ganze Ausmaß der Zerstörung zeigen, das sie angerichtet hatte, lag jetzt nur noch das Ufer und der halbe See im strahlenden Sonnenschein.
    Die Götter … oder ihre Mutter?
    »Lea«, murmelte Arri. »Warum tust du das?«
    Obwohl das Ufer ein gutes Stück von ihr entfernt lag, war es doch so klar und deutlich zu erkennen, dass man fast meinen konnte, man könne es mit ein paar Schritten erreichen. Arri kniff die Augen zusammen, um Einzelheiten ausmachen zu können. Von ihrem jetzigen Standort aus hatte sie einen recht guten Überblick über den Bereich am Ufer, in dem Dragosz seinerzeit ihre erste vorläufige Siedlung hatte anlegen lassen, während das Pfahldorf von der gezackten Steinkette fast vollständig abgeschirmt wurde. Mehr war aber auch gar nicht nötig, um sie erkennen zu lassen, dass der Sturm ganze Arbeit geleistet hatte.
    Etliche Hütten waren eingedrückt worden und wirkten nun windschief, von anderen schien nur das Dach weggerissen worden zu sein. Und auch die wenigen Dächer der weitaus festeren Holzhäuser auf den Stegen, die sie von hier aus im Blick hatte, hatten offensichtlich Schaden genommen. Die Hütte aber, in der sie gefangen gehalten worden war, war so vollständig verschwunden, als hätte es sie überhaupt nur in ihrer Einbildung gegeben.
    Das traf sie wie ein Faustschlag. Sie hatte doch das Gefühl, an der Katastrophe Schuld zu sein, die über das Dorf gekommen war. Und dabei hatte sie seit ihrer Flucht kaum einen Gedanken an die Verheerungen verschwendet, die der Sturm angerichtet haben mochte. Ob es Tote gegeben hatte? Ob Isana dazu gehörte – und ob sie inzwischen ihren Verletzungen erlegen war? Aber die brennendste Frage von allen war: Was war mit Kyrill geschehen? Hatte ihn die dicke Frau des Stangenfischers in Sicherheit bringen können, die sich nach Isanas Worten in den letzten Tagen um ihn gekümmert und ihn sogar gestillt hatte? Und war sie jetzt immer noch bei ihm?
    Sie lauschte in sich hinein. Nach Dragosz’ Tod klaffte eine schlimme Lücke in ihrem Herzen. Aber das war auch alles. Kein neues Entsetzen, nicht diese schreckliche Gewissheit, dass ihrem und Dragosz’ Sohn etwas Schreckliches passiert sein mochte, er vielleicht sogar tot war.
    Trotzdem hatte sie Angst um ihren Sohn. Allmählich wurde es Zeit, dass sie ihn zu sich holte.
    Sie riss den Blick von der fernen Siedlung los und starrte nach oben. Die Wolkendecke war gerade noch fest geschlossen gewesen, jetzt aber riss sie an einigen Stellen wieder auf und hatte auch ihre Farbe gewechselt. In das Schwarzgrau mischte sich ein blutroter Ton; zumindest bildete sich Arri das ein.
    »Ist es das, was du mir zeigen wolltest, Mutter?«, fragte sie bitter. »Aber warum? Warum quälst du mich so?«
    Ihren Worten folgte … nichts. Der Himmel blieb so, wie er war – genauso wie ihre Einsamkeit, die sie hier, auf dem höchsten Gipfel der Umgebung und im Angesicht der Verwüstung, die das Unwetter hinterlassen hatte, bitterer spürte als je zuvor.
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein!«, rief sie zum Himmel empor. »Ich werde Kyrill beschützen! Er wird nicht sterben!«
    Wieder geschah … nichts. Der Himmel öffnete seine Schleusen nicht, um Fluten über sie zu ergießen, es kam auch kein neuer Wind auf, der sie umtoste und umzuwerfen versuchte, noch nicht einmal das unnatürlich wirkende Licht änderte sich.
    »Was ist, Mutter?«, fragte Arri hart. »Hat es dir die Sprache verschlagen?«
    Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte.

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