Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe
niemanden töten«, antwortete Arri finster. »Ich will nur mein Kind wieder haben. Das ist alles.«
»Indem du dich mit Barbaren verbündest? Nein, mein Kind. Es muss einen anderen Weg geben.«
Arri schüttelte erneut den Kopf. »Nein, Mutter«, sagte sie mit fester Stimme. »Diesmal helfen keine klugen Sprüche. Diesmal muss ich mir selbst helfen.«
Kapitel 20
»Isch glaub es nischt«, murmelte Granartara. »Schau dir diese beiden alten Wischtigtuer an! Da hocken sie, als könnte sie kein Heilkräuterschen trüben!«
Auch wenn Granartara recht hatte, ging Lexz ihr dümmliches Gequatsche doch zunehmend auf die Nerven. Er fragte sich, was seinen Vater dazu gebracht haben mochte, dem Schamanen ausgerechnet dieses hässliche alte Weib mitzugeben, das wohl erst dann Ruhe gab, wenn man ihm den Schädel einschlug.
»Hallo, Schamane!«, rief Granartara und watschelte so schnell los, dass sie sich schon nach den ersten Schritten einen Vorsprung erarbeitet hatte. »Hast du noch ein Plätschen für mich?«
Zakaan drehte sich zu ihr um. Erst da begriff Lexz, was Granartara mit den beiden alten Wischtigtuern gemeint hatte.
Zakaan – und Abdurezak!
Die beiden hockten so selbstverständlich nebeneinander, als läge ihre letzte Begegnung nicht zwei Sommer zurück, sondern höchstens zwei Tage. Nach all dem, was Lexz zusammen mit seinen Gefährten erlebt hatte, tat es besonders gut, den Schamanen wiederzusehen – und nicht nur seine Stimme im eigenen Hinterkopf herumspuken zu hören. Aber das allein war es nicht.
»Ich fasse es nicht!« Ekarna sprach seine Gedanken aus. »Abdurezak! Dass er noch lebt!«
»Und dass wir ihn ausgerechnet hier finden«, ergänzte Torgon. »Wenn überhaupt, dann hätte ich ihn doch eher in der Hütte der Ältesten erwartet.«
»Ja«, bestätigte Ekarna. »Ich hoffe, es ist nichts Schlimmes passiert, das ihn so weit rausgelockt hat.«
»Aber verstehst du denn nicht?« Torgon blieb stehen und packte Ekarna an den Schultern. Es hätte wohl nicht viel gefehlt, und er hätte sie grob geschüttelt. »Wo Abdurezak ist, da kann auch Dragosz nicht weit sein! Und all die anderen, die wir schon seit zwei Sommern nicht mehr gesehen haben!«
»Ja«, Ekarna nickte mit so schnellen Kopfbewegungen, dass ihr Haar flog. »Aber das ist doch kein Grund, mich so hart anzupacken!«
»Was? Ja. Entschuldige!« Torgon ließ sie wieder los und wandte sich nun an Lexz. »Was sagst du dazu? Dragosz! Wie lange haben wir gewartet?« Dann wandte er sich wieder ab und starrte in die entgegengesetzte Richtung. »Einer von uns müsste gleich los und Ragok die Neuigkeit mitteilen.«
Ekarna legte ihm die Hand auf den Arm. »Nun beruhige dich mal. Ragok wird es schon noch früh genug erfahren. Lass uns erst mal in Erfahrung bringen, wie es Abdurezak und den anderen in der langen Zeit ergangen ist, die wir sie nicht gesehen haben.«
Während sie das sagte, stiefelte Granartara mit wackligen Schritten an ihnen vorbei. Lexz war nicht bereit, ihr den Vortritt zu lassen, und eilte ihr nun auf dem unebenen, felsigen Boden hinterher. Er konnte es noch gar nicht fassen. Zakaan hockte in größter Selbstverständlichkeit neben seinem Bruder Abdurezak! Als Lexz die Bedeutung dieses Zusammentreffens hier am Ende der Welt bewusst wurde, spürte er plötzlich, wie ihm ganz flau wurde. Also hatten sie es geschafft – sie hatten tatsächlich die verloren gegangene Hälfte ihres Volkes wiedergefunden!
Die beiden Brüder hatten es sich unterhalb der einzigen Hütte, die noch eine Tür besaß, auf einem Moosbett bequem gemacht. Das Lächeln, das Zakaans Gesicht auf eine Art verzauberte, wie Lexz es schon seit langer Zeit nicht mehr bei ihm gesehen hatte, erlosch schlagartig, als er sich zu ihnen umwandte und auf das ungewaschene, stinkende Weib starrte, das mit hochrotem Kopf und empörtem Blick auf ihn zuwatschelte.
»Granartara, wie oft soll ich dir sagen, dass ich keine Plättchen mehr …« Er brach jedoch ab und starrte Lexz an, dann Ekarna und zum Schluss verharrte sein Blick auf Torgon. »Den Göttern sei Dank«, er lächelte wieder, wenn nun auch auf eine ganz andere Art. »Ihr seid am Leben! Und ihr habt uns gefunden!«
»Ich sage es ja immer«, ergänzte Abdurezak fröhlich. »Man braucht niemanden zu suchen. Alle wichtigen Leute kommen ohnehin zu einem.«
»Dasch is nett, dasch du dasch sagst«, bemerkte Granartara fröhlich. »Du bist wenigstens nischt so ein Griesgram wie dein Bruder.« Sie legte den Kopf schief.
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