Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe
geraten waren, oder schlimmer noch: wenn sie in einen Hinterhalt geraten waren, so würde er sich ewig Vorwürfe machen.
Und sein Vater würde ihm den Kopf abreißen.
Irgendwo tief in seinem Innersten gab es etwas, das Lexz unbarmherzig vorantreiben würde, solange auch nur noch ein Atemzug Leben in ihm war. In das Herz seines Vaters hatte sich nach dem Verrat seines Bruders die Bitterkeit eingenistet, und nach Nakurs Tod war etwas viel Schlimmeres daraus geworden: der unbändige Wunsch nach Rache und Vergeltung, und sei es auch durch eine bestialische Bluttat. Lexz hätte nie zuvor geglaubt, dass er einmal genau so empfinden könnte. Aber der Tod seines Bruders hatte alles geändert.
»Rache ist ein schlechter Ratgeber«, hatte Zakaan immer wieder zu beschwichtigen versucht. »Sie vergiftet jeden Gedanken – und lässt einen schlimme Dinge tun.«
Ja, alter Mann , dachte Lexz hasserfüllt. Sie lässt einen schlimme Dinge tun. Zum Beispiel, den Bruder seines Vaters zu töten. Und das so grausam und so schnell wie nur möglich.
Er brannte darauf, es dem Verräter heimzuzahlen. Erst danach konnte er wieder richtig leben und sich anderen Dingen widmen. Er wollte sich eine Frau nehmen und Kinder zeugen, er wollte seine eigene kleine Welt zimmern, und er wollte in Frieden leben. Und genau das hatte Dragosz ihm und Nakur verwehrt, indem er sie beide gezwungen hatte, bei ihrem Vater in der alten Heimat zu bleiben, bis es für die Flucht aus Dürre und Hungersnot fast zu spät gewesen war.
Eine Woge kalten Hasses stieg in ihm hoch, als er erneut ein Geräusch hörte, und diesmal blieb es nicht dabei, diesmal sah er etwas zu seiner Rechten, eine huschende Bewegung, die gleich darauf wieder vom Graugrün ihrer Umgebung aufgesogen wurde. Ein Mensch? Oder war es vielleicht doch etwas anderes, ein Raubtier, ein Höhlenlöwe möglicherweise, der auf leichte Beute aus war?
Er wusste es nicht, aber alles in ihm reagierte auf die Gefahr, und plötzlich lag das Schwert in seiner Hand, und er duckte sich hinter eine mächtige Eiche, die ihn mit weit ausladenden Zweigen und einem dichten Meer sattgrüner Blätter schützte. Er musste nicht erst zurücksehen, um zu wissen, dass ihm seine beiden Gefährten folgten. Gut, dass er jetzt nicht allein war. Irgendetwas ging hier vor, das er nicht erfassen konnte, noch nicht … aber er war sich sicher, dass er es bald wissen würde, und dass es ihm gewiss nicht gefiele.
Ein merkwürdiger Geruch lag plötzlich in der Luft, nicht nur der nach feuchter Erde und sprießenden Gewächsen, sondern etwas Muffiges und gleichzeitig leicht Süßliches, das ihn unweigerlich an den Bären denken ließ, den er im letzten Winter im tiefsten Schlaf überrascht hatte. Der Bär war dann erwacht, bevor er und seine Begleiter ihm den Schädel einschlagen konnten.
Wenn es hier tatsächlich einer der zottligen, mannshohen Bären war, der auf Nahrungssuche durch die Wälder tappte, dann würde sich das sehr schnell herausstellen: Bären pflegten sich nicht wie eine Kriegermeute anzuschleichen, sondern plötzlich loszupoltern. Und selbst wenn es sich um ein ungewöhnlich großes Exemplar handeln sollte, würde es ihnen doch kaum ernsthaft gefährlich werden können, denn mit drei ausgewachsenen und zu allem entschlossenen Menschen legte sich ein einzelner Bär nur dann an, wenn man ihm die Möglichkeit zum Rückzug nahm.
Ekarna holte ihn auf ihre leichtfüßige Art ein, kaum dass er ein paar weitere Schritte tiefer ins Unterholz eingedrungen war. »Das gefällt mir nicht«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
Er nickte, sein Blick wanderte über seine Umgebung und versuchte den Schatten etwas Handfestes zu entreißen, hinter den Ranken und dem Geäst, den Büschen und Gräsern etwas zu erkennen, was ihnen gefährlich werden konnte. Der Wind, der die Regentropfen mit sich gebracht hatte, gaukelte ihnen ein Huschen im Unterholz vor, und in das Flattern der Blätter und das Biegen dünner Zweige konnte man alles Mögliche hineindeuten, auch Krieger, die sich ihren Blicken geschickt zu entziehen versuchten.
»Siehst du etwas?«, fragte er.
Ekarna antworte nicht, sondern schlich mit schlagbereiter Streitaxt an ihm vorbei, spähte nach rechts und links – und zuckte dann mit den Schultern. Das war ungewöhnlich. Normalerweise wusste sie sehr genau, was um sie herum geschah, doch nun erlebte Lexz sie zum ersten Mal unsicher.
Er warf einen Blick zurück. Torgon war ein Stück hinter ihnen zurückgeblieben und starrte
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