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Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe

Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe

Titel: Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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glasigen Augen sah sie nun, wie Taru noch zwei, drei Schritte weiter lief, als wolle er sich über den Befehl des Ältesten hinwegsetzen und auf sie eintreten. Doch dann hielt er in angespannter und lauernder Haltung an, von einem Fuß auf den anderen wippend, als bereite er sich auf einen Kampf vor, und starrte zu ihr hinab. In seinen Augen funkelte blanker Hass, und seine Hand strich sicherlich nicht nur zufällig über den Griff des scharf geschliffenen Knochenmessers, das in einer Schlaufe seines Hirschledergürtels steckte. Taru hatte Arri nur Spott und Verachtung entgegengebracht, und sie konnte sich vorstellen, wie sehr er diese Lage jetzt genoss. »Was willst du mit dem Kind?«, hatte er seinem Vater entgegengeschleudert, als Dragosz sie mit ins Sommerlager der Raker gebracht hatte. »Soll sie etwa meine neue Mutter werden?«
    Was für ein lächerlicher Gedanke. Wie hätte sie denn Taru die Mutter ersetzen können, sie war ja kaum älter als er! Stattdessen hatte sie sich wie eine ältere Schwester gefühlt, die sich um ihren kleineren Bruder sorgte, nicht mehr und nicht weniger. Aber auch das war bei Taru auf Widerstand gestoßen: Mehr als ein Mal hatte er unverhohlen gedroht, sie solle sich aus seinem Leben heraushalten, sonst werde sie etwas erleben.
    Und genau jetzt, in ihrer tiefsten Trauer, war der Zeitpunkt für Tarus Rache gekommen. In seinen Augen las sie nicht nur Fassungslosigkeit angesichts der Katastrophe, die ihm den Vater genommen hatte, sondern auch noch etwas anderes: brodelnden, tief empfundenen Hass, der sich in einer Gewalttat entladen wollte.
    Abdurezak schien das genauso zu sehen. Statt sich um sie zu kümmern, wie es zweifellos zunächst seine Absicht gewesen war, legte er Taru in einer beruhigenden Geste die Hand auf die Schulter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Junge reagierte darauf, wie es für einen Jungen seines Alters – und für ihn im Besonderen – ganz üblich war: mit Trotz. Sein Kopf fuhr zu Abdurezak herum.
    »Nein«, zischte er. »Das tue ich nicht.«
    Abdurezak antwortete gar nicht darauf. Er sah Taru nur an. Alles verspannte sich in dem muskulösen Jungen, und einen flüchtigen Augenblick lang sah es fast so aus, als werde er den alten Mann packen und ins Wasser stoßen. Doch dann trat er einen raschen Schritt zur Seite und lehnte sich an das Geländer aus roh zurechtgezimmerten Ästen.
    Abdurezak trat mit einer erstaunlich schnellen und sicheren Bewegung an ihm vorbei. Auf seinem verwitterten Gesicht zuckte kein Muskel, als er seine dichten weißen Haare zurückstrich, bevor er sich zu ihr hinabbeugte.
    »Diese Nacht konnte ich dir gewähren, Arianrhod«, flüsterte er ihr zu. »Mehr nicht.«
    Arri sah verwirrt zu ihm auf. Aus der Totenwacht war sie noch immer nicht vollkommen in die Wirklichkeit zurückgekehrt, und fast schien es ihr, als griffe jetzt Dragosz nach ihr, um sie zurückzuhalten und sie zu sich herabzuziehen in den Einbaum, um sie auf die einsame Reise über den Frykr mitzunehmen: hinab ins Reich der Toten.
    »Du musst Abschied nehmen«, fuhr Abdurezak fort. »Hier und jetzt.«
    Arri schüttelte den Kopf. Ein Gespinst aus Selbstvorwürfen, Verzweiflung und Trauer hielt sie wie ein engmaschiges Netz gefangen, in das sie sich nur umso tiefer verstrickte, je verzweifelter sie sich daraus zu befreien versuchte. Aber sie wusste, was sie auf keinen Fall wollte: hier und jetzt von dem Mann Abschied nehmen, der ihr das Leben bedeutet hatte.
    »Ich will dich nicht in deiner Trauer stören«, sagte Abdurezak so leise, dass seine Worte im Rascheln seines Gewandes beinahe untergingen. »Aber ich fürchte, wir müssen Dragosz jetzt für seine letzte Reise vorbereiten, auf dass er seinen Ahnen reinen Herzens gegenübertreten kann. Und dabei störst du, Arianrhod, du, deren Vorfahren weit entfernt von uns lebten und Geheimnisse hatten, die uns nun zu verderben drohen.«
    Arri riss den Kopf hoch. Bis auf Taru gab es niemanden, der sie bei ihrem alten Namen Arianrhod nannte. Aber nicht das war es, was sie aufschreckte. »Ich störe?«, fragte sie fassungslos.
    Der alte Mann nickte, und die Trauer in seinen Augen schien dabei stärker zu sein als alles Entsetzen über das, was gestern geschehen war. »Ja. Ich fürchte, du bist fehl am Platz, wenn wir Dragosz für die Reise über den Frykr vorbereiten.«
    »Ich bin fehl am Platz?« Arris Herz raste, als sie zu dem alten Mann hochsah, für den sie bislang nichts anderes als Hochachtung empfunden hatte. »Aus welchem

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