Die Himmelsscheibe 02 - Die Kriegerin der Himmelsscheibe
Kein Feuerstein, aber etwas ähnlich Hartes. Arri drehte sich in die Richtung ihres Fundes und hangelte mit beiden Händen danach. Als sie es endlich in den Händen hielt, glaubte sie ganz in der Nähe ein Geräusch zu hören – und sie erstarrte mitten in der Bewegung, als ein Vogel nicht weit entfernt von ihr aufflatterte und sich mit schnellen Schwingbewegungen in den Himmel hinaufschraubte.
Es war gar nicht so leicht, den Stein so zu verkeilen, dass sie mit dem Strick, der um ihr Handgelenk festgezurrt war, darüberschaben konnte. Als der Stein endlich fest genug saß, war von Taru und Rar überhaupt nichts mehr zu hören. Sie konnte von Glück sagen, dass das Gras hier am See von zahlreichen Tieren niedergetrampelt war, die dieses flache Gelände offensichtlich als Tränke benutzten – sonst hätten die beiden wohl kaum ihre Fährte verloren.
Ihr Atem ging schnell und hektisch, und sie war aufgeregt, aber diesmal aus einem ganz anderen Grund als zuvor. Weder auf dem Steg, noch bei der abenteuerlichen Fahrt im Einbaum war ihr ernsthaft der Gedanke an Flucht gekommen. Jetzt sah das allerdings ganz anders aus. Sie hatte die Gelegenheit, und sie würde sie auch nutzen – und dafür sorgen, dass Taru niemals Kyrill in die Finger bekam.
Ihre Verzweiflung ließ sie schneller und mit mehr Kraft arbeiten, als es vielleicht gut war. Mehr als einmal rutschte sie von dem Strick ab und ritzte sich das Handgelenk. Und schließlich lief Blut den Strick hinab und tropfte vor ihr auf den Boden. Sie hatte Angst. Dragosz, die schrecklichen Ereignisse am See – das spielte jetzt alles keine Rolle. Sie musste fliehen und Taru und Rar loswerden, alles Weitere würde sich weisen.
Da! Faser nach Faser ging auf, und sie verdoppelte ihre Anstrengung, um den verfluchten Strick loszuwerden. Doch die letzten Fasern widersetzten sich ihren Anstrengungen noch, und so musste sie all ihre Kraft und ihr ganzes Geschick aufwenden, um …
»So wird das nichts«, sagte eine Stimme über ihr.
Arri schrak zusammen, riss gleichzeitig den Kopf und die immer noch zusammengebunden Hände nach oben, dazu bereit, den Stein als Schlagwaffe einzusetzen.
Es hätte ihr wohl nicht viel genutzt. Der Mann, der da über ihr stand, sah fürchterlich aus: Die eine Seite seiner Haare war lang, die andere so kurz, als sei sie gerade erst vollständig geschoren worden. Seine dunklen Augen waren von noch tieferem Schwarz umrahmt, und in der Nase und dem rechten Ohr hatte jemand kleine Schmuckstücke eingebracht, wie Arri sie noch nie zuvor gesehen hatte. Er wippte ungeduldig auf dem rechten Fuß, war verschwitzt und hatte einen wirren Blick, der nur kurz auf ihr ruhte, bevor er unruhig über die Umgebung schweifte.
Arri verfluchte sich für ihren Leichtsinn. Sie hätte sich nicht so lange auf den dummen Strick konzentrieren sollen.
»Ich hoffe, ich tue jetzt nichts Falsches.« Der Mann zog ein Bronzemesser, woraufhin Arri ein zweites Mal erschrak: Es sah fast so aus wie die Waffe, die Taru heute Morgen bei sich getragen hatte.
Der Mann beugte sich zu ihr hinab, und bevor Arri noch recht wusste, wie ihr geschah, schnitt er ihr die Fesseln endgültig ab. »Du bist nicht zufällig eine Drude, was?«
»Wie?« Arri starrte zu dem Mann empor, der nicht auf eine Antwort gewartet hatte, sondern sich einmal im Kreis drehte, bevor er sich dann wieder ihr zuwandte.
»Na, Druden sagt man nicht gerade das Beste nach«, plapperte der Fremde weiter drauflos, »und sie gefesselt im Wald auszusetzen, das wäre das Mindeste, was man ihnen antun könnte …«
Arri kam mit einer torkelnden Bewegung hoch. Sie hatte keine Ahnung, wovon dieser Kerl da redete – aber allein das Wort Drude beunruhigte sie schon. »Was willst du von mir?«, fauchte sie.
Etwas an ihrem Blick – und vielleicht auch an der Art, wie sie den Stein hielt – musste ihn erschreckt haben, denn er wich zurück.
»Ich will gar nichts von dir«, stieß er hervor. »Außer, du kannst mir sagen, wo Sedak geblieben ist.«
»Sedak?« Arri schüttelte den Kopf. »Ich kenne keinen Mann dieses Namens. Aber ich muss weg …«
»Ja, ich auch. Aber nicht ohne Sedak.« Er musterte Arri. »Und du hast wirklich niemanden gesehen? Keinen Mann mit schwarz gezeichneten Augen, der hier vorbeigehetzt ist?«
Arri fuhr sich mit der Hand durch die Haare, eine Bewegung, die zu ihr gehörte und auf die sie nun schon viel zu lange hatte verzichten müssen. »Nein. Ich habe überhaupt niemanden gesehen. Bis auf Taru
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