Die Hintertreppe zum Quantensprung
sierten mit dessen Unterstützung eine private Sammelaktion. Sie verwiesen auf die Verantwortung neutraler Staaten und die wirt schaft liche Bedeutung der Atomforschung, setzten den Minister für Bildung unter Druck und erreichten auf diese Weise, dass am 1. November 1918 die Baugenehmigung erteilt wurde. Als die dänische Krone an Wert verlor, griff zuletzt noch die Carlsberg-Stiftung ein. Sie schloss alle finanziellen Lücken. Im Januar 1921 zog Bohr in sein Haus der Wissenschaft ein. Seine erste Tätigkeit bestand darin, einen Brief an Ruther ford zu schreiben, um ihn zur offiziellen Einweihung einzuladen, was der Neuseeländer enthusiastisch akzeptierte.
Privat bezogen die Bohrs eine Wohnung im ersten Stock des Instituts und hielten sie von Anfang an offen für die Mitarbeiter. So ent stand von Beginn an das Gefühl familiärer Zusammengehörig keit. Bohr förderte private Kontakte, da er wissenschaftli ches und privates Leben nicht trennen wollte. Im Gegenteil, man sollte sich im Labo ratorium so wohlfühlen wie zu Hause. In dieser Atmosphäre wurde Teamwork selbstverständlich. Bohr fühlte sich glücklich. In einem Brief an Paul Ehrenfest definierte er genauer, was er un ter Glück ver stand (Original auf Deutsch): »Die einzige Definition des Glückes, mit dem ich zufrieden bin, und deren Richtigkeit ich in manchen Verhältnissen sehr stark gefühlt habe, ist aber, dass es einem besser geht als er verdiene, und wie gut es in diesen Verhältnissen passt, brauche ich nicht näher zu sagen.«
Die Idee der Komplementarität
Bis zum Sommer 1925 war den Physikern klar geworden, dass es Fragen gab, die nicht eindeutig zu beantworten waren, sondern eine Doppeldeutigkeit zuließen. Nicht nur die Frage, ob Licht aus Par tikeln besteht oder sich wellenartig verhält, konnte nicht entschieden werden. Dasselbe galt für Elektronen, was als Dualität der Materie für Verwirrung sorgte. Bohr erkannte, dass diese Situation eine durchgreifende Revision der Be griffe, die in der Physik verwendet wurden, erforderte – und hielt gedanklich inne. In den kommenden zwei Jahren publizierte er nichts. Seine Arbeitskraft widmete er dagegen vor allem den Gesprächen, die er in Kopenhagen besonders intensiv mit Heisenberg und Pauli führte. Im Mai 1926 zog Heisenberg nach Kopenhagen, um mit Bohr gemeinsam eine physikalische Deutung der neuen Quanten mechanik zu finden. Natürlich wohnte er im Institut; so konnten der Lehrer und sein Schüler bis tief in die Nacht diskutieren. Sie taten es bis zur Erschöpfung, die im Februar 1927 erreicht war. Dann brach Bohr zu einem vierwöchigen Skiurlaub nach Norwe gen auf – es wurden die längsten Ferien seines Lebens –, und hier kam ihm die entscheidende Idee zur Deutung der Quan tenmechanik. Bohr fiel plötzlich auf, dass mit den verschiedenen sich widersprechenden Bildern (Welle und Teilchen) nicht dieselben Phä nomene beschrieben werden. Vielmehr teilt man mit ihrer Hilfe Erfahrun gen mit, die unter sich gegenseitig ausschließenden Versuchsbedingungen gemacht wor den sind. Bohr schlug deshalb vor, sol che Erfahrungen als »komplementär« zu bezeichnen. Ein neuer konzeptioneller Rahmen war gefunden.
In allgemeiner Form lässt sich Bohrs Idee der Komplementarität folgendermaßen beschreiben: Beobachtungen wer den durch experimentelle Anordnungen defi niert. Einige dieser An ord nungen können nicht gleichzeitig angewendet werden. Die in diesen Versuchen gemachten Erfahrungen stehen in einer kom ple mentären Beziehung zueinander. Jede einzelne stellt einen gleichwertigen Aspekt der vollständigen Information dar, die erhalten werden kann. Zu jeder Beschreibung von Wirklichkeit gibt es eine zweite, die mit der ersten gleichberechtigt ist, obwohl sich beide widersprechen.
Um dies am Beispiel von Welle und Teilchen zu verdeutlichen: Welle und Teilchen sind zwei Bilder, die sich einerseits gegenseitig ausschließen – wenn das eine ange wandt wird, kann nicht zugleich das andere angewandt werden –, aber andererseits auch bedingen; denn keines der beiden Bilder genügt für sich allein. Die Wirklichkeit, die also die Quanten theorie beschreibt, können wir uns prinzipiell nicht mehr eindeutig an schaulich vorstellen. Sie muss deshalb durch zwei zueinander komplementäre Bilder beschrieben werden.
In aller Öffentlichkeit hat Bohr diesen Gedanken zum ersten Mal im Herbst 1927 vorgestellt, als er auf einer Tagung in Como sprach, die dem Andenken an Alessandro Volta gewidmet war.
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