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Die Hintertreppe zum Quantensprung

Die Hintertreppe zum Quantensprung

Titel: Die Hintertreppe zum Quantensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Peter Fischer
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Wirklichkeit und beleidigt den gesunden Menschenverstand. Die Atome kann nur verstehen, wer auf manche Denkgewohnheiten verzichtet. Um diese Konsequen zen seiner Wissenschaft verstehen zu können, wandte sich der Physiker Bohr der Philosophie zu und bemühte sich bis zur Er schöpfung, die Lektion der Atome für das menschliche Erken nen zu lernen. Seiner Ansicht nach konnte die neue Entwick lung der Physik »zur Klärung der allgemeinen Voraus setzungen menschlicher Erkenntnis beitragen«. Bohr verwies in vie len Vorträgen unermüdlich »auf die Notwendigkeit einer ständigen Verallgemeinerung der Begriffsbildung zur Einordnung neuer Erfahrungen«. Man muss damit rechnen, so betonte er, dass die Sprache und die Denkformen der Menschen dort versagen, wo sie sich nie bewähren mussten. Unser Denken ist deshalb offenzuhalten, damit wir auch in die Bereiche vor dringen können, die nicht unserer direkten Erfahrung zugäng lich sind.
Die Kopenhagener Deutung
    Die philosophische Interpretation, die Bohr zusammen mit Werner Heisenberg der neuen Physik in den 1920er-Jahren gab, kann kurz durch die Begriffe »Unbestimmtheitsrelationen« und »Komplementarität« charakterisiert werden. Man bezeichnet sie heute als Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik, weil sie an dem Institut für Theoretische Physik entwickelt wurde, dessen Errichtung Bohr 1920 in seiner Heimatstadt durchgesetzt hatte. Mit dieser Forschungseinrichtung erhielt die neue Wissenschaft ihr Forum. Dort kamen Physiker aus aller Welt zusammen, um die tiefge henden und weitreichenden Fragen ihres Faches zu besprechen. Dabei leitete und forderte sie Bohr mit seinen Fragen. In allen Dialogen und Seminaren blieb er immer freundlich, in der Sache war er aber unerbittlich. Bohr wurde der Sokrates unter den Phy sikern. In seinem Institut entstand der Kopenhagener Geist der Wissen schaft, das heißt, hier wurde zum ersten Mal internatio nale Team arbeit auf freier Basis verwirklicht. Bohrs Schüler gin gen fröhlich und respektlos miteinander um und bewunderten ihren Lehrer, den sie »grenzenlos liebten«.
    Die Quantenmechanik, die in den 1920er-Jahren in Göttin gen, Cambridge und Kopenhagen entwickelt wurde, wird oft zu Unrecht als esoterisches Spiel von Spezialisten angesehen, das für den Laien ohne Bedeutung bleibt. In Wahrheit hat keine Wis sen schaft mehr Konsequenzen für das Denken und die Technik, für Kultur und Zivilisation als diese Physik. Ohne sie wären we der Laser denkbar noch Halbleiter nutzbar, es gäbe also keine Compact Discs und keine Computer; ohne Quantenmechanik bleibt eine chemische Bindung ohne Erklärung und damit die moderne Chemie ohne Grundlage; ohne Quanteneffekte wäre die Wis sen schaft vom Leben, die Biologie, bloß deskriptiv geblieben und hätte sich keine Molekularbiologie entwickelt. Keine Frage, die Ent stehung der Quan tenmechanik ist das wichtigste geistige Ereig nis unserer Zeit. Und Bohr hat sie ermöglicht.
Der Traum von der offenen Welt
    Die Konsequenzen der neuen Physik blieben nicht auf Fragen der Erkenntnis oder Grundlagenprobleme der Wissenschaften be schränkt. Wer die Struktur der Atome verstanden hat, kann auch lernen, die Bausteine der Materie zu teilen und die hier verborgene Kernenergie freizusetzen. Diese Fähigkeit wiederum konnte zur Kon struktion von Vernichtungswaffen verwendet werden. Daraus entstand ein existenzielles Problem, als sich der Zweite Weltkrieg ausweitete. Die Physiker, die in Kopenhagen bei Bohr das Gefühl gewonnen hatten, einer internationalen Fa milie von Wissen schaftlern anzugehören, arbeiteten nun gegen einander. Bohr befand sich zwischen den Fronten. Er hatte zu beiden Seiten Kontakt und wurde von den Deutschen ebenso verehrt wie von den Engländern, Amerikanern und Russen.
    Als Bohr 1943 in London von den Anstrengungen, eine Atombombe zu bauen, erfuhr, versuchte er sofort, die verantwortlichen Politiker dazu zu bewegen, die Anwendung der Bombe zu verhindern. Er dachte bereits an die Zeit nach dem Krieg und riet Winston Churchill und Franklin Roosevelt von einer Politik der Geheim haltung und einer Demonstration der Atommacht ab. Nach 1945 setzte sich Bohr in einem offenen Brief an die Vereinten Nationen für eine Ost und West umfassende und auf Ausgleich angelegte Regelung bei der Behandlung atomarer Waffen ein und beschrieb seinen Traum von einer »offenen Welt«.
Erste Gehversuche in der Physik
    Bohr hat – wie kann es anders sein – Physik in seiner Heimatstadt studiert und

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