Die Hintertreppe zum Quantensprung
Sicherheit den Wert des Impulses von Teilchen B vorherzusagen. Im Sinne des Einstein’schen Kriteriums entspricht dann diesem Impuls ein Ele ment der physikalischen Wirklichkeit. Analog kann man für den Ort von B argumentieren. Dies wäre aber ein Widerspruch zur Be schreibung der Quantenmechanik. Das Teilchen B kann in dieser Theorie keine festen Werte für diese Größen haben.
Als Bohr von dem Aufsatz erfuhr, ließ er alle laufenden Arbei ten ruhen. Kaum vier Monate später traf seine Antwort bei derselben Zeitschrift ein, in der Einstein sein Paradoxon publiziert hatte. Bohr ar gumentiert dabei wie folgt: Ein beobachtetes Objekt und der zu seiner Messung verwendete Apparat bilden gemeinsam eine un trennbare Einheit, die auf der quantenmechanischen Ebene nicht in Form von getrennten Teilen untersucht werden kann. Die Kombinat ion eines gegebenen Teilchens mit einer bestimmten expe ri men tellen Anordnung unterscheidet sich wesentlich von der Kom bination desselben Teilchens mit einer anderen Anord nung. Die Beschreibung des Zustands des ganzen Systems drückt eine Rela tion zwischen dem Teilchen und allen vorhandenen Mess vor richtungen aus. Mit anderen Worten, selbst wenn keine Mes sung an Teilchen B erfolgt, so ist doch sein Zustand (also die physikalische Wirklichkeit, deren Teil es ist) nicht unabhängig von der Anwe senheit des Apparates, mit dem die Messung an Teilchen A vor ge nommen wird. Daher scheitert Bohrs Ansicht nach die Beweisführung von Einstein, Podolsky und Rosen.
So argumentierte Bohr 1935 hellsichtig. Denn natürlich stört ein Beobachter von Teilchen A das andere Teilchen B nicht direkt physikalisch. Seine Messung beeinfl usst aber die tatsächlichen Bedin gungen, welche die möglichen Voraussagen über das zukünf tige Verhalten des Systems defi nieren. Da diese Bedingungen ein Element der Beschreibung jeglichen Phänomens aus ma chen, die man »physikalische Wirk lich keit« nennen kann, sehen wir, dass Einsteins Argumentation nicht gerechtfer tigt ist und die quantenmechanische Beschreibung voll ständig bleibt. Mehr wird uns nicht zugänglich.
In dieser von Bohr 1935 beschriebenen radikalen Revision der Einstellung zur physikalischen Realität deutet sich eine seltsame Korrelation an, die man mit dem Begriff »Ganzheit« kenntlich ma chen kann. Die von der klassischen Physik beschriebene Welt konnte stets in ihre Einzelteile zerlegt werden. Die Quantenwelt ist anders. Offenbar kann sie nicht völlig reduziert werden. Wenn zwei Teilchen miteinander in Wechselwirkung treten – in Ein steins Beispiel stoßen sie zusammen –, dann werden sie Teil eines physi ka lischen Systems (eines Ganzen), das nicht mehr erfasst werden kann, wenn man nur seine Einzelteile beschreibt.
Wenn wir nun nach dem Grund dafür fragen, bekommen wir eine seltsame Antwort, an die wir aber schon gewöhnt sind: Die Korrelation besteht nicht zwischen den wirklich vorhandenen Teilchen, sie besteht zwi schen den Quantenzuständen, die mit diesen Teilchen verbun den sind, genauer gesagt, zwischen den Wahrscheinlichkeitsver teilungen, die festlegen, wie die Teilchen sich verhalten können. Im Rahmen der Quantenmechanik können diese Korrelationen die Eigen schaften der Teilchen auch dann noch beein fl ussen, wenn sie selbst längst getrennt sind und nicht mehr miteinander in Wech selwirkung stehen.
Die Ganzheit zeigt sich erst recht in der besonderen Form der Wechselwirkung, die zum Messen erforderlich ist. Durch eine Beobachtung werden der Messapparat und das untersuchte System ein Ganzes. Sie sind nun nicht mehr einzeln beschreib bar, über sie können wir noch nicht einmal mit gleichen Begriffen reden. Denn, so Bohr, das zum Versuch verwendete Gerät ge horcht der klassischen Physik und muss also mit deren Konzep ten beschrieben werden. Die Teilchen selbst gehorchen aber der Quantenphysik. Wenn wir also über ein Experiment reden, müssen wir etwas tun, was wir nicht dürfen, nämlich trennen, was ein Ganzes ist. Durch diese eigentlich verbotene Trennung verlieren wir In formationen. Wir kennen nur noch die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Quantenobjekt etwas tut. Dennoch bleibt unsere Be schreibung des Systems nach Bohr vollständig, wenn wir die ex perimentelle An ordnung, mit der wir die Teil chen analysieren, in sie mit einbeziehen. Die wichtige Konsequenz, die hieraus zu zie hen ist, macht den er wähnten metaphysischen Aspekt der Komplementarität deut lich: In der Quantenmechanik kann man nichts über
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