Die Hintertreppe zum Quantensprung
Denn offensichtlich geht es ihm nur um die Funktionsweise der Gene und der von ihnen ausgehenden Fähigkeit, Ordnung zu bewahren und weiterzugeben. Doch was gewöhnlich eher zum Nachteil eines Buches ausschlägt, nämlich im Titel mehr zu versprechen, als der Inhalt einlöst, wird bei Schrödinger zum eigentlichen Triumph: Viele Wissenschaftler – alte und neue Biologen – richteten damals ihr Augenmerk ausschließlich auf die Frage nach der Natur und der Struktur der Gene, und Schrödingers Buch ist deshalb genau die Lektüre, die sie brauchten und auf die sie warteten.
Was ist Leben sonst noch?
Während der Arbeit an dem Manuskript gelingt es Schrödinger, eine irische Schauspielerin zu schwängern. An seinen Freuden lässt er uns in seinem Tagebuch teilhaben. Dort heißt es: »What is Life?, I asked in 1943. In 1944, Sheila May told me. Glory to be God!« Neben der Wissenschaft gilt Schrödingers Hauptinteresse nachweislich dem Sexuellen. Wie sein Lieblingsphilosoph Schopenhauer sah er hierin den unsichtbaren Mittelpunkt allen Handelns und Benehmens, und es scheint, als ob er dabei die mystische Einheit bzw. Vereinigung zu erleben hoffte, die er aus den indischen Texten als Literatur kannte.
Für Sheila schreibt er zahlreiche Liebesgedichte, und vielleicht ist es gestattet, eines davon zu zitieren. Das folgende Liebeslied hat Schrödinger selbst noch 1956 in einer eigenen Gedichtsammlung publiziert: [2]
Niemand als du und ich
Wissen wie uns geschehn.
Keiner hat es gesehen
Wenn wir uns küssten inniglich.
Keiner, keiner weiß
dass uns der Himmel liebt
dass er uns alles gibt
was er zu geben weiß.
Und säh uns wer
er dacht es kaum
dass in weitem raum
sonst alles leer,
nur wir, nur wir
und unser Glück
Nie nie zurück
als nur mit dir.
Ein eigenwilliger Kauz
Der von seinen Landsleuten einst auf der 1000-Schilling-Note verewigte Schrödinger lässt sich vielleicht am besten als eigenwilliger Kauz charakterisieren, der wie ein Schulbub gerne mit kurzen Hosen aufgetreten ist, zugleich aber über einen höchst eleganten Stil verfügt und alles ganz neu und originell formuliert. Er zitiert in seinen Schriften nur ganz selten andere Autoren und schöpft fast ausschließlich aus seiner eigenen Existenz, die, wie er glaubt, am universalen Bewusstsein teilhat. Das Bewusstsein interessiert Schrödinger natürlich auch als individuell verfügbare Eigenschaft, und in seiner späten Schrift Mind from Matter schlägt er vor, dass es die Neuheit sei, welche die materiellen Vorgänge ans Bewusstsein koppele. Mit anderen Worten: Es sind neue Situationen des Erlebens, die in seiner Weltsicht zu neuen materiellen Zuständen des Gehirns werden, und es scheint ihm – unter evolutionären Aspekten betrachtet – sinnvoll, diesen Reaktionen in den Nervenzellen die Qualität Bewusstsein zu geben. So jedenfalls sieht es Schrödinger, der ein »rein verstandesmäßiges Weltbild ohne alle Mystik« als »Unding« verwirft. Er tut dies kurz vor seinem Tod, als er einen letzten Versuch unternimmt, die Frage »Was ist wirklich?« zu beantworten. Im Grunde trauert er der Welt nach, die den Menschen im alten Griechenland (noch) offenstand, als es »die verhängnisvolle Spaltung« von philosophischem und wissenschaftlichem Denken noch nicht gab. Diese scheint Schrödinger zu seinen Lebzeiten unerträglich geworden zu sein. Seltsam dabei ist nur, dass er nicht sehen wollte oder konnte, dass die Einheit, die er suchte, gerade in der Theorie zurückgewonnen wurde, die zu schaffen er mitgeholfen hatte. Diese Einheit beruht allerdings nicht in einer Vereinigung von Gegensätzen, sondern in dem Vermögen, sie auszuhalten. Doch von dieser Askese wollte Schrödinger anscheinend nichts wissen.
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Louis de Broglie (1892–1987)
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Die Dualität der Materie
Louis de Broglie entstammt einer französischen Adelsfamilie. Sein vollständiger Name lautet Louis-Victor Pierre Raymond Duc de Broglie, und der kompliziert aussehende Familienname wird etwa wie »brollje« gesprochen. Der aus der Normandie stammende Graf hat bereits 1929 den Nobelpreis für Physik bekommen, und zwar aufgrund eines Vorschlags, der in seiner Doktorarbeit zu finden ist, die er 1924 unter der Überschrift Recherches sur la théorie des Quantes vorgelegt hatte. Zwar klingt der Titel dieser Promotionsschrift ähnlich nichtssagend wie der von tausend anderen Abschlussarbeiten – da hat sich halt jemand um Untersuchungen über die Theorie der Quanten bemüht, ohne dass es mehr als
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