Die Hintertreppe zum Quantensprung
nun zu einem beliebig wählbaren Zeitpunkt die Frage stellen, ob die Katze noch lebt oder nicht, wobei die Antwort durch ein Guckloch möglich ist, das am Kasten angebracht ist. Schrödinger wollte sich mit dieser Versuchsanordnung über die Kopenhagener Deutung lustig machen, da in deren Rahmen der Zustand der Katze unbestimmt ist. Das heißt, die Katze ist als Mischung (Superposition) aus »halb lebend« und »halb tot« anzusehen. Die Festlegung ihres Zustands erfolgt in dieser Interpretation erst durch die Tatsache, dass sie beobachtet wird – und dies erschien Schrödinger als Gipfel der Albernheit. Es kann doch nicht sein, so argumentiert Schrödinger in Übereinstimmung mit dem gesunden Menschenverstand, dass der- oder diejenige über das Leben der Katze entscheidet, der bzw. die durch das Guckloch schaut.
Wie gesagt, es gibt dicke Bücher über das Leben und Sterben von Schrödingers Katze. Sicher lohnt es sich, ausführlich über den geschilderten Vorgang nachzudenken, wenn man wissen will, was die Quantentheorie besagt, die sich darauf beschränken muss, bei Einzelereignissen deren Wahrscheinlichkeit anzugeben – und zwar mithilfe der Schrödinger-Gleichung. Doch darf man ihre wichtigste Vorgabe nicht übersehen, und genau dies hat Schrödinger bei seinem Bild der eingesperrten und bedrohten Katze getan: Seine eigene Gleichung beschreibt ja gerade nicht etwas aus der physikalischen Wirklichkeit, zum Beispiel keine Katze in einem Kasten. Schrödingers Gleichung stellt vielmehr nur eine symbolische Fassung der Realität dar, die sich in einer mathematischen Welt mit imaginären Dimensionen befi ndet. Eine Katze gibt es in diesen Sphären nicht, weder eine lebendige noch eine tote. Verrückt ist nicht Schrödingers Gleichung, verrückt ist die Tatsache, dass jemand diese Gleichung finden konnte und dass sie – nach Anwendung einer präzisen Vorschrift – die Wirklichkeit nachprüfbar als Wahrscheinlichkeit erfasst.
Schrödingers Katze wird vielleicht nicht sehr lange in ihrem Kasten gelebt haben, dafür aber ist ihr ein langer Auftritt in der philosophischen Diskussion sicher. Das Gleiche gilt für den oben angekündigten Begriff, den Schrödinger in Verbindung mit seinem gruseligen Gedankenexperiment im Jahre 1935 vorschlug, um das Charakteristische der atomaren Wirklichkeit auszudrücken. Schrödinger hatte nach zehnjährigem Nachdenken erkannt, worin letztendlich das Paradoxon besteht, das die Quanten über die Wirklichkeit aufzeigen und in die Welt einführen. Die Unstetigkeit im winzig Kleinen weist nämlich auf den Zusammenhang des großen Ganzen hin. Die Quantentheorie zeigt, dass die materielle Realität »verschränkt« ist, wie Schrödinger die Einsicht ausdrückte, dass es im Innersten der Welt gar keine Teile, sondern nur ein untrennbares Ganzes gibt. Atomare Objekte – so zeigte sich immer deutlicher und das lässt sich heute immer überzeugender im Experiment nachweisen – können miteinander korreliert sein, obwohl keine physikalisch nachweisbare Wechselwirkung zwischen ihnen besteht. Schrödinger nannte dies die Verschränkung der Wirklichkeit, und damit gab er dem ganzheitlichen Zug der Atome, der durch alle Jahrhunderte dem klassisch-physikalischen Denken fremd geblieben war, einen eleganten und einprägsamen Namen. Die Verschränktheit spannt ein Netz vor dem Nichts auf, vor dem wir Angst haben. Die Quanten bewahren uns vor dem Verschwinden – wir müssen nur den Mut haben, uns auf sie einzulassen.
Eine klassische Weltansicht
Als Schrödinger den verheißungsvollen Begriff »Verschränkung« prägt, ist sein Leben zum wiederholten Male durch äußere Umstände durcheinandergeraten. Der am 12. August 1887 in Wien geborene und dank der Englischkenntnisse seiner Tante zweisprachig aufgewachsene Schrödinger hoffte nach dem Studium der Physik und einigen frühen Arbeiten zur Theorie der Farben darauf, den Lehrstuhl für Theoretische Physik an der Universität in Czernowitz zu bekommen, der ehemaligen Hauptstadt des ehemaligen habsburgischen Kronlandes Bukowina. Hier in der Peripherie seiner Heimat wollte Schrödinger nach eigenem Bekunden redlich theoretische Physik lehren und treiben, darüber hinaus aber das tun, was ihm geistig das Liebste zu sein schien, nämlich tief in philosophische Texte eintauchen. Er hatte damals durch die Lektüre von Schopenhauers Werken die indische Philosophie entdeckt und begonnen, sich ihre Einsicht zu eigen zu machen. Der zufolge sind wir nur Aspekte
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