Die Hintertreppe zum Quantensprung
diese Tatsache zu berichten gäbe –, aber der Schein trügt. In seiner Schrift trägt de Broglie den Gedanken vor, dass es so etwas wie Materiewellen geben kann. Und damit nicht genug: Er gibt auch eine Formel (ein Rechenverfahren) an, um die Wellenlänge zu berechnen, die mit einer gegebenen Masse verbunden ist.
Im Rückblick wirkt de Broglies Idee wie die selbstverständliche Erweiterung eines Gedankens von Albert Einstein, der 1905 bemerkt hatte, dass es neben den Lichtwellen auch Lichtteilchen (Photonen) geben musste und sich Licht nur im Wechselspiel dieser beiden Bilder verstehen ließ. Licht konnte sowohl Welle als auch Teilchen (Korpuskel) sein, und – so dachte vielleicht der junge Graf de Broglie knapp zwei Jahrzehnte später – was für das Licht gilt, kann der Materie nicht schaden. Wenn es neben Lichtwellen auch Lichtteilchen gibt, warum sollte es dann nicht neben Materieteilchen wie etwa Elektronen auch Materiewellen geben? Die Natur zeigt sich doch sonst auch gerne symmetrisch.
Doch was uns heute selbstverständlich und klar erscheint, wurde von den Zeitgenossen mit großer Skepsis aufgenommen. De Broglies Doktorvater, Paul Langevin, war, um es milde auszudrücken, ziemlich erstaunt über die Neuheit der Idee seines Studenten, und Max Planck erklärte rundweg, dass ihm das Ganze nur »sehr schwer verständlich« sei und die jungen Leute – wie de Broglie – viele Dinge viel zu leicht nähmen.
Das frühe Leben des Grafen
Was wirklich Mühe machte an dem Gedanken des jungen Physikers de Broglie steckte in einer Konsequenz seiner Idee namens Materiewelle. Anders als bei den Teilchen des Lichts kannte man von einem Elektron etwa ziemlich genau die Masse, über die es verfügte. Und wenn dieser Masse wie auch immer die Eigenschaften von Wellen zukamen, dann konnte sie zum Verschwinden gebracht werden. So wie Licht plus Licht zu Dunkelheit führen kann – die Physiker sprechen dann von der Eigenschaft der Interferenz, die Wellen zukommt –, muss dann auch Masse plus Masse zu Nichts führen. Das sei eine absurde Vorstellung, meinte man 1924 sofort, doch bald konnte sie tatsächlich im Experiment bewiesen werden, was dann auch eine zügige Einladung zum König von Schweden, der die Nobelpreise zu überreichen hat, zur Folge hatte.
Bevor wir über den Nachweis der Richtigkeit von de Broglies Idee berichten und die Folgen für die gesamte Physik und ihr Weltbild betrachten, wollen wir einige Lebensstufen von Louis de Broglie ansehen.
Irgendwie muss das Wissenschaftliche in seine Familie gekommen sein, denn sein 17 Jahre älterer Bruder Maurice hatte schon vor ihm zur Physik gefunden, um letztlich ein geschätzter Experimentalphysiker zu werden. Der junge Louis beschäftigte sich dagegen nach den in Paris verbrachten Schuljahren zunächst mit Philosophie und Geschichte, bevor er auf die Schriften von Henri Poincaré aufmerksam wurde, die etwa vom Wert der Wissenschaft handelten oder unter dem Titel Wissenschaft und Hypothese die Bedeutung von guten Ideen für die Entwicklung der Forschung erörterten. Von 1911 an studierte Louis de Broglie dann Physik und Mathematik, wobei sein Interesse schon sehr früh auf die Quanten gelenkt wurde, und zwar dadurch, dass sein Bruder Maurice ihm die Verhandlungen der ersten Solvay-Konferenz vorlegte, die 1911 in Brüssel abgehalten worden war.
Die Idee zu den bis heute stattfi ndenden Solvay-Konferenzen stammt von dem deutschen Physiker Walter Nernst, der mit dem belgischen Großindustriellen Ernest Solvay Kontakt aufgenommen hatte und dem ausgebildeten Chemiker erklären konnte, dass man ein Forum brauche, um die »fundamentalen und fruchtbaren Ideen von Planck und Einstein« im Kreis von Wissenschaftler erörtern zu können. Solvay war einverstanden, und 1911 konnte Nernst viele Physiker ins Brüsseler Hotel Metropol einladen, um zum Thema »Die Theorie der Strahlung und der Quanten« diskutieren zu lassen. Im folgenden Jahr lagen die Referate gedruckt vor, und Maurice de Broglie zeigte das Buch seinem Bruder Louis.
Was rasend schnell hätte gehen können, kommt plötzlich zum Erliegen, denn die europäischen Staaten schliddern in den Ersten Weltkrieg, und de Broglie muss seine Studien unterbrechen. Er wird Nachrichtenoffi zier und beschäftigt sich weniger mit Quanten und mehr mit Elektrotechnik und der Ausbildung von Personal. Erst 1919 kommt er zur Physik zurück, was konkret bedeutet, dass er Mitarbeiter im Privatlaboratorium seines Bruders wird und über
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