Die Hintertreppe zum Quantensprung
Röntgenstrahlen und den Fotoeffekt nachdenkt, bei dem Licht den in einem elektrischen Leiter fließenden Strom beeinflusst. Wenn dies passiert, dann muss das Licht mit den Elektronen, die sich beispielsweise in einem Metall bewegen, in Wechselwirkung treten. Aber wie? Wie trifft das Licht überhaupt auf einen Draht? Als Welle oder als Teilchen? Und wie reagieren die Teilchen des Drahts, wenn eine Welle kommt? Könnte es nicht sein, dass auch die Elektronen wie Wellen agieren, wenn sie auf Licht treffen bzw. vom Licht getroffen werden?
Der Nachweis
Wir wissen nicht, ob sich Louis de Broglie diese Fragen so gestellt hat. Wir wissen aber, dass er 1923 eine Arbeit über Wellenmechanik verfasst und 1924 seine Doktorarbeit mit dem Vorschlag einreicht, der ihm Ruhm und Ehre bringt. Das heißt, Ruhm und Ehre kommen, nachdem ein Experiment nachweisen konnte, dass es die von ihm konzipierten Materiewellen tatsächlich gibt. Dieser Versuch wurde 1927 durch die beiden amerikanischen Physiker Clinton Davisson und Lester Germer an den Bell-Laboratorien durchgeführt. Dabei wurde ein Elektronenstrahl auf einen »Einkristall« (aus Nickel) gelenkt, wobei ein Kristall den genannten Ehrennamen nur dann bekommt, wenn seine Atome völlig regelmäßig bzw. so regelmäßig wie möglich angeordnet sind.
Davisson und Germer lenkten also den Strahl aus Elektronen unter verschiedenen Winkeln auf die Kristalloberfl äche, ermittelten mit höchster Genauigkeit die auftretende Streuung und registrierten dabei Kurven, die sich ganz genau – qualitativ und quantitativ – mit der Idee von de Broglie, dass es Materiewellen geben müsse, erklären ließen. In der Tat konnten Elektronen an dem Kristallgitter so gebeugt werden wie Licht, die Materieteilchen agierten somit nachweislich wie Wellen – ein Befund, für den das Nobelkommitee nicht mehr lange brauchte, um den begehrten Preis dafür zu vergeben.
Jetzt war klar, dass Dualität eine grundlegende Eigenschaft der Natur ist. Nicht nur das (masselose) Photon, sondern auch das (massive) Elektron kann Welle und Teilchen zugleich sein. Und so verwirrend diese Einsicht auch auf den ersten Blick erschien, sie zeigte auf den zweiten Blick deutlich, dass es eine gemeinsame (fundamentale) Theorie geben konnte bzw. musste, mit der sich die physikalische Wirklichkeit erfassen ließ. Sie war tatsächlich schon kurz nach dem Bekanntwerden von de Broglies Hypothese aufgestellt worden und heißt heute Quantenmechanik.
Die Schriften des Grafen
In dem Jahr, in dem de Broglie den Nobelpreis erhielt, wurde er auch zum Professor für Theoretische Physik am Institut Henri Poincaré in Paris berufen. Ein paar Jahre später wechselte er an die Sorbonne, der er die kommenden Jahrzehnte über die Treue hielt.
Wir wollen hier nicht über die Jahre des Zweiten Weltkriegs sprechen, in denen de Broglie als Berater der französischen Atomenergiekommission gewirkt und sich patriotisch gestimmt gezeigt hat. Wir wollen aber erstens auf die Tatsache hinweisen, dass Planck, der mit der Idee von Materiewellen zunächst nichts anfangen konnte, 1938 dafür gesorgt hat, dass de Broglie mit der höchsten Auszeichnung der deutschen Physik, der Max-Planck-Medaille, geehrt wurde. Beim Festakt selbst machte Planck in seiner Laudatio keinen Hehl aus dem politischen Charakter der Veranstaltung, mit der die Existenz einer europäischen Kultur demonstriert wurde, die durch Kriege nicht zerstört werden kann. Und wir wollen zweitens anmerken, dass der Goverts Verlag in Hamburg kurz darauf in demselben Geist zwei Bücher von Louis de Broglie in deutscher Übersetzung herausbrachte, in denen der französische Nobelpreisträger seine Sicht der neuen Physik für ein breites Publikum vorlegte. Licht und Materie erschien 1939, und Die Elementarteilchen folgten vier Jahre später, wobei der zweite Band den geheimnisvollen Untertitel Individualität und Wechselwirkung enthält. Die Lektüre dieser beiden Bände ist nach wie vor empfehlenswert. Die Texte handeln unter anderem vom »Geheimnis des Lichts«, vom »Indeterminismus der Quantenphysik« und von der »Eigengesetzlichkeit und Wechselwirkung der Teilchen«. Sie berühren zahlreiche philosophische Fragen, die im Verlauf der Entstehung der Quantenphysik aufgetaucht sind, und sie tun dies auf zugleich behutsame und originelle Weise.
Es kann hier nicht darum gehen, mit ein paar Sätzen zusammenzufassen, was de Broglie meint, wie etwa die geheimnisvollen Materiewellen in der physikalischen
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