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Die Hintertreppe zum Quantensprung

Die Hintertreppe zum Quantensprung

Titel: Die Hintertreppe zum Quantensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Peter Fischer
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eines einzigen Wesens bzw. einer einzelnen Wesenheit, die ebenso wenig von dieser Welt sein kann wie die Lösung seiner Gleichung, der er den skurrilen Namen »Psi-Funktion« gegeben hat (so als ob das Unbewusste da seine Hände im Spiel gehabt hätte). Es ist zweifelhaft, ob der oft primadonnenhaft auftretende, sexbesssene und auf Ruhm und Ehrungen erpichte Schrödinger sein Bekenntnis zum ruhigen Philosophieren am Rande der Zivilisation selbst geglaubt hat. Verhindert worden ist die Umsetzung dieses Vorhabens auf jeden Fall, und zwar durch äußere politische Umstände: Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte Czernowitz nicht mehr zu Österreich, und Schrödinger musste sein Glück anderswo suchen. Er verließ die Bukowina und ging über Breslau und Jena nach Zürich.
    Festgehalten sei an dieser Stelle, dass er noch kurz vor seinem schon beschriebenen quantenphysikalischen Höhenflug mehr mit Philosophie als mit seinem Lehrfach befasst war. Schrödinger schrieb damals auf, was er unbescheiden Meine Weltansicht nannte. In diesem Buch stellte er vier Fragen, die sich seiner Meinung nach weder mit Ja noch mit Nein beantworten lassen: Gibt es ein Ich? Gibt es eine Welt neben dem Ich? Hört das Ich auf, wenn der Körper stirbt? Hört die Welt auf, wenn mein Körper stirbt? In seiner kritischen Betrachtung dieser Fragen bekennt sich Schrödinger eindeutig zur der indischen Weisheit, die in der Vedanta niedergelegt ist und der zufolge Ich und Welt ein Ding sind. Für ihn passiert alles im Bewusstsein, das er als singulär auffasst. Unter dieser Vorgabe wird leicht verständlich, dass die Quantentheorie mit ihrer Zweiteilung (und ihren zwei Theorien von Heisenberg und Schrödinger) ihm wenig behagte und im wahrsten Sinne des Wortes unannehmlich erschien.
»Was ist Leben?« – wissenschaftlich gesehen
    Die Physiker lassen sich zwar nicht von Schrödingers philosophischen Bekenntnissen beeindrucken, sie genießen aber in vollen Zügen seine physikalischen Früchte. 1928 – nach dem überragenden Erfolg seiner Gleichung – holen sie Schrödinger als Nachfolger von Max Planck nach Berlin. Hier bleibt er fünf Jahre lang, also bis 1933, dem Jahr, in dem ihm der Nobelpreis für Physik zugesprochen wird und in dem die Nazis an die Macht kommen. Für sie hat Schrödinger nur Verachtung übrig. Aus Protest gegen Hitlers Machtergreifung emigriert er und hält sich zunächst eine Zeit lang in Oxford auf. Trotz eindringlicher Warnungen und in völliger Verkennung des deutschen Machtstrebens lässt er sich 1936 dazu überreden, einen Lehrstuhl in Graz anzunehmen, den er nur zwei Jahre später, beim Anschluss Österreichs, fluchtartig verlassen muss. Er irrt ein paar Monate umher – ohne Geld und ohne Heimstatt. Doch dank einer Initiative des irischen Ministerpräsidenten Eamon de Valera, der in Dublin ein Institute for Advanced Studies eingerichtet hat, wird er gerettet. Der studierte Mathematiker und Politiker lädt Schrödinger 1938 ein, sich in Dublin niederzulassen und am Institut seine theoretisch-physikalischen Überlegungen weiterzuverfolgen. Fast zwanzig Jahre lang bleibt Schrödinger auf der Insel, deren Sprache ihm von Kindesbeinen an vertraut ist, und erst 1956 kehrt er in seine Heimat Österreich zurück. Er geht nach Wien, [1] wo er fünf Jahre später am 4. Januar 1961 stirbt.
    Die wissenschaftlich folgenreichste Arbeit der Dubliner Jahre war eine Vorlesungsreihe, die Schrödinger zwischen 1943 und 1944 gehalten hat und in der er versucht, die Frage »Was ist Leben?« mit den Augen eines Physikers zu beantworten. Das Bemerkenswerte an diesem eher kurzen Buch mit gleichnamigen Titel, das nach wie vor aufgelegt wird und in zahlreiche Sprachen übersetzt worden ist, besteht in zwei Dingen: Zum ersten sagt Schrödinger mit ungeheurer Lässigkeit und Überzeugungskraft voraus, dass es einen genetischen Code gibt. (Er wurde bekanntlich in den 1960er-Jahren entschlüsselt.) Und zum zweiten konstatiert er selbstbewusst, dass die zentrale Frage der kommenden Biologe die nach der Natur des Gens sein wird. Er selbst unterbreitet den raffinierten Vorschlag, Gene als aperiodische Kristalle zu betrachten. Sie werden damit eine Aufgabe für Physiker, und Wissenschaftler aus ihren Reihen wechseln tatsächlich in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg zur Biologie und formen diese Wissenschaft nachhaltig um.
    Wer Kritik an Was ist Leben? üben will, kann darauf hinweisen, dass Schrödinger in seinem Buch Leben mit Vererbung verwechselt.

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