Die Hintertreppe zum Quantensprung
getrennten Notenlinien festgehalten werden, zwischen denen die Komponisten und unsere Ohren keinen Klang haben wollen.
Ausgangspunkt von Schrödingers Gedankenspielen war der Vorschlag des jungen Franzosen Louis de Broglie, der in seiner Doktorarbeit 1924 vorgeschlagen hatte, mit der Materie so umzugehen, wie es Einstein mit dem Licht vorgemacht hatte. 1905 war von Einstein erkannt worden, dass Licht eine doppelte Natur besitzt. Es kann nicht allein als Welle aufgefasst werden, man muss ihm vielmehr zusätzlich Teilcheneigenschaften zuschreiben, und zwar genau die, die Planck mit seinen Quanten vorgegeben hatte. Was dem Licht recht war, sollte der Materie billig sein, dachte der jugendliche de Broglie unbekümmert, ohne sich darum zu scheren, dass Elektronen doch eine nachweisbare Masse haben. Zwar konnte sich niemand im Detail vorstellen, wie Elektronen als Welle in Erscheinung treten können, aber de Broglie trug diese Idee trotzdem vor. Ihn drängte es, Licht und Materie symmetrisch und im Gleichklang behandeln zu können – und die nachfolgenden Experimente gaben ihm triumphal recht.
Schrödinger war vor allem von dem ästhetischen Argument begeistert. Er setzte sämtliche Hebel in Bewegung, um die Doktorarbeit aus Paris zu bekommen, wobei man wissen sollte, dass es grundsätzlich schwierig ist, an Doktorarbeiten zu kommen. Es bereitet besondere Mühe, sich französische Doktorarbeiten zu beschaffen, und es könnte durchaus sein, dass Schrödinger hierbei mehr Arbeit aufzuwenden hatte als bei der Ableitung seiner Gleichung, die dann in den Ferien 1925 folgte. Mithilfe des in de Broglies Arbeit ausgebreiteten Vorschlags gelang es Schrödinger tatsächlich, eine Gleichung für den elektronischen Umlauf in einem Atom aufzustellen, die mathematisch die Bewegung einer Welle erfasst – eben die Wellengleichung, die heute nach ihm benannt ist.
Doch so schön dieses Ergebnis auch war, zu seinem erneuten Entsetzen musste Schrödinger erkennen, dass das, was sich da in Raum und Zeit veränderte, keineswegs etwas aus der Welt der konkret greifbaren Realität war. Seine Wellengleichung beschrieb überhaupt keine tatsächliche Wellenbewegung in einem Atom. Sie erfasste vielmehr ein Gebilde mit imaginären Dimensionen. Der Ausdruck »imaginär« ist dabei streng mathematisch gemeint und bedeutet, dass die Schrödinger-Gleichung nicht mehr stimmt, wenn es nur um die reellen (realen) Zahlen geht, mit denen allein Messdaten angegeben werden. So merkwürdig es auch klingt: Ohne dem sich der anschaulichen Wirklichkeit entziehenden Imaginärteil von Schrödingers Gleichung ist die reale Welt nicht beschreibbar. Dies ist zweifellos ein Satz, der mehr Fragen aufwirft als Antworten liefert und eher verblüfft als beruhigt. Aber so ist sie, die Quantenmechanik – sie erfasst die Realität mit Mitteln, die nicht zu ihr gehören.
In dieser unanschaulichen und unwirklichen Welt ging zwar alles so stetig und mathematisch bestimmt zu, wie sich Schrödinger dies erträumt hatte, doch das traf nicht mehr zu, sobald man sich von dort in die physikalische Wirklichkeit mit ihren relevanten und messbaren Größen aufmachte. Zu seinem besonderen Ärger musste Schrödinger zu guter Letzt sogar noch feststellen, dass seine Wellenmechanik dieselben Vorhersagen über die atomaren Qualitäten machte wie die Gleichungen von Heisenberg, die ihn so wurmten. Sie war folglich mathematisch äquivalent zu ihnen. Auch wenn er nun aus der Sicht der Physiker einen großen wissenschaftlichen Triumph erzielt hatte, für den ihm 1933 der Nobelpreis für Physik verliehen wurde, in seinen eigenen Augen hatte er vor allem eine philosophische Niederlage erlitten. Eine besondere Befriedigung wollte sich deshalb bei ihm lange Zeit nicht einstellen.
Schrödingers Katze
Bei seinem anschließenden fast zehnjährigen Bemühen, mit den Quanten und der imaginären Beschreibung ihrer realen Existenz ins Reine zu kommen, hat Schrödinger zuletzt einen Begriff und ein Bild geprägt, die beide maßgeblich geworden sind für das Verständnis der Atomphysik bzw. für den Umgang mit ihr.
Zuerst zum Bild: Es stellt Schrödingers Katze dar, die in einem Kasten eingesperrt ist, in dem sich zusätzlich radioaktives Material befindet. Bei einem nicht mit Sicherheit, sondern nur mit Wahrscheinlichkeit vorherzusagenden Zerfall eines Atoms wird die frei werdende Energie genutzt, um einen Mechanismus in Gang zu setzen, der ein giftiges Gas in den Kasten einströmen lässt. Man kann
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