Die Hintertreppe zum Quantensprung
Vorstellungen bei seinen Kollegen kaum Resonanz gefunden, und auch jetzt schrecken noch viele Physiker und andere Forscher davor zurück. Deshalb wird es höchste Zeit, sich unvoreingenommen mit Pauli zu befassen, der sich ernsthaft wie kein Zweiter – nämlich mit seinem ganzen Leben – darum bemüht hat, die Tiefe des geistigen Wandels zu begreifen, der mit der Quantentheorie eingetreten war und die westliche Welt gezwungen hat, ihr Ideal der Objektivität aufzugeben. Pauli hatte den Mut, sich zu fragen, was diesen Wandel bewirkt, was also hinter der Physik liegt und unsere Vorstellungen bestimmt, obwohl es unserer Willkür entzogen ist.
Das Wunderkind
Pauli kommt am 25. April 1900 in Wien zur Welt, also im ersten Frühling des neuen Jahrhunderts; im Herbst desselben Jahres führt Max Planck in Berlin das Quantum der Wirkung in die Physik ein. Paulis Vater, der aus Prag stammt und als assimilierter Jude eine medizinische Karriere an der Universität gemacht hat, ist dort mit dem berühmten Physiker und Philosophen Ernst Mach bekannt geworden, der Taufpate des Sohnes Wolfgang wird. Mach wirkt bei diesem christlichen Ritual offenbar nachhaltiger als der Geistliche, weshalb Pauli später davon gesprochen hat, er sei »antimetaphysisch statt katholisch getauft« worden. Das heißt übrigens konkret, dass er sehr früh einen Blick für das Böse bekommen hat, denn dieses identifizierte Mach mit dem Metaphysischen.
Paulis wohlumsorgte Kindheit an der Seite seiner Mutter Bertha wird jäh unterbrochen, als er eine Schwester bekommt. Sie heißt Hertha und wird später Schriftstellerin. Was den neunjährigen Knaben an der Schwester bedrückt, bleibt unklar. Er wird etwas eigenbrötlerisch und eignet sich bis zum 18. Lebensjahr all das mathematische und physikalische Wissen an, das er braucht, um in diesen jungen Jahren gleich drei Abhandlungen über die Allgemeine Relativitätstheorie zu schreiben. Welch ungewöhnliche und besondere Leistung hier gelungen ist, wird nur klar, wenn man sich vor Augen hält, dass Einsteins große Arbeit zu diesem Thema erst 1915 erschienen und damals selbst von vielen erwachsenen Physikern kaum verstanden worden ist. Abgesehen davon erstaunt an den frühen Publikationen Paulis vor allem, dass der Teenager nicht nur schwierige mathematische Ableitungen zustande bringt, sondern es darüber hinaus sogar riskiert, Zweifel an der Bedeutung physikalischer Grundbegriffe zu äußern. Er schlägt sogar vor, Grenzen ihrer Anwendbarkeit anzunehmen. So bemerkt der vorwitzige Schüler zum Beispiel, dass es schlicht und einfach keinen Sinn ergibt, wenn Physiker von einem elektrischen Feld in einem Atom sprechen, obwohl das alle ganz selbstverständlich tun. Natürlich sind die Bausteine der Atome geladen, und natürlich sind im Verständnis der klassischen Physik Ladungen mit Feldern verbunden und von ihnen umgeben. Doch nachweisen lässt sich solch ein Feld nur durch die Kraft, die es auf eine Probeladung ausübt, und genau dies geht nicht. Denn wie – dies würde der junge Pauli gerne wissen – will man solch ein Ding, das doch aus Atomen bestehen muss, in einem Atom an- bzw. unterbringen?
Der körperlich nicht besonders groß gewachsene Pauli fällt mit solchen Überlegungen auch beim Studium der Physik auf, das er von 1918 an in München bei Arnold Sommerfeld absolviert, dem Zeit seines Lebens hochverehrten Lehrer. In Sommerfelds Seminar lernt er bald den ein Jahr jüngeren Heisenberg kennen. Es ist keine Frage, dass niemals zuvor und danach zwei Studenten ähnlichen Kalibers nebeneinander die Hörsaalbank gedrückt haben, und es ist äußerst bemerkenswert, wie schnell sie sich aus dem Weg gehen. Ihre Lebensweise ist denkbar unterschiedlich: Während Heisenberg die Natur durchstreift und deshalb von seinem Kommilitonen verächtlich als Naturapostel apostrophiert wird, hält sich Pauli lieber von der frischen Luft fern und in Nachtlokalen auf, um hier seinen physikalischen Gedanken nachzuhängen. Er taucht selten vor zwölf (und manchmal auch unrasiert) in der Universität auf, dennoch kommt er wissenschaftlich voran und promoviert im Alter von 21 Jahren in demselben Jahr, in dem er zur Bewunderung Einsteins einen viele Hundert Seiten langen Aufsatz über die Relativitätstheorie verfasst. Dieser geistige Erguss hat bis auf den heutigen Tag nicht an Bedeutung verloren, weil er die philosophischen Implikationen des neuen Raum-Zeit-Kontinuums und seiner eigenwilligen Geometrie ebenso erfasst, wie
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