Die Hintertreppe zum Quantensprung
über Menschen sprechen«, so Wheeler, »aber was mich überzeugt hat, dass es solche Figuren als Menschen tatsächlich einmal gegeben haben kann, das waren meine Gespräche mit Bohr.« Es ist schade, dass es keine Aufzeichnungen von ihnen gibt. In diesen Diskussionen muss es um all die grandiosen Verrücktheiten gegangen sein, die mit den Quantensprüngen in die Welt der Physik gekommen waren: die Lücken im Ganzen der Welt, die Unbestimmtheit der Realität, die Doppelnatur der Dinge, der Spin als unverständliche Zweiwertigkeit, die Interferenz von Teilchen mit Massen, die komplexen Funktionen für die Zustände.
Es ist anzunehmen, dass Wheeler sich an dem großen Vorbild orientierte und bemüht war, nur hinreichend verrückte Ideen zu produzieren, um etwas von der Wahrheit erhaschen zu können. Man hat ihm dies tatsächlich vorgeworfen, nämlich crazy zu sein, wie das schöne Wort in Wheelers Muttersprache lautet – eine Eigenschaft, die einen echten Forschergeist ausmacht. Je älter Wheeler wurde, desto ausgefallener wurden seine Ideen, was zwar manche zuweilen an seinem Verstand zweifeln ließ, aber von einem seiner berühmten Schüler, dem genialen Richard P. Feynman, dem wir auf dieser Treppe noch begegnen werden, entschieden zurechtgerückt wurde. »Einige Leute denken«, so Feynman, »in seinen später Jahre sei Wheeler crazy geworden. Das stimmt aber nicht. Er war immer crazy«, und das war gut so. Denn wenn man die verschiedenen Schichten von Verrücktheit, die Wheeler angeblich repräsentierte, Stück für Stück abträgt und schaut, was darunterliegt, trifft man zuletzt auf einen Kern, der eine sehr tiefe Wahrheit erkennen lässt, zu der man sonst nicht gelangen könnte – eine Wahrheit, die natürlich ihr Mysterium bewahrt.
Zu Wheelers Verrücktheiten gehört etwa sein Vorschlag, dass in dem Urknall, den George Gamow plausibel gemacht hatte, nicht nur Raum, Zeit und Materie entstanden sind, sondern auch die Naturgesetzlichkeiten selbst, die deren Qualitäten und Relationen regeln. Wheeler hielt die Frage, nach welchen Prinzipien die Bestimmungsstücke hervorgebracht worden seien, für angemessen. Ebenso aus der Reihe tanzt sein Gedanke, das als negative Lösung aus Paul Diracs Gleichung hervortretende Antiteilchen zum Elektron, das positiv geladene Positron, als ein Elektron aufzufassen, das rückwärts in der Zeit läuft. Überhaupt wollte Wheeler Abläufe zulassen, für die eine andere Zeitrichtung galt und die deshalb zum Beispiel aus der Zukunft kommen konnten – in Form sogenannter avancierter Potenziale –, um uns die physikalischen Wege dorthin ein klein wenig zu erleichtern.
War dies auch Wahnsinn, so führte er dennoch zu einer Methode, nämlich dem heute unentbehrlichen Berechnungsverfahren, das Dick Feynman später als Diagramme in die Physik einführte. Mit ihnen können sämtliche Wechselwirkungen von Elementarteilchen systematisch und für ein menschliches Gehirn handhabbar erfasst werden. Wheeler ermutigte auch seine Studenten dazu, sich möglichst abgedrehte Deutungen einfallen zu lassen, und so verwundert es nicht, dass der bis heute am meisten erörterte Gegenvorschlag zur Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik mit ihrer Komplementarität von einem seiner Doktoranden stammt. Hugh Everett legte in 1950erJahren das vor, was als Many Worlds View , als Vielweltensicht, bekannt geworden ist. Jede Beobachtung, so Everett, schafft durch diesen Akt eine eigene Realität, die der vorher bestehenden Wirklichkeit oder den vorher bestehenden Wirklichkeiten an die Seite tritt. So leben wir in einem Universum, zu dem es sehr viele Parallelwelten gibt – Multiversen, wie es ein ungeschicktes Wort nennt. Diese Idee kann man natürlich immer noch für zu spekulativ oder eben verrückt halten, aber sie gewinnt an Anhängern und an Plausibilität im Rahmen der modernen String-Theorie, die mit einer ungeheuren Anzahl an möglichen Vakuumzuständen operiert, welche alle im Urknall enthalten waren und befreit werden können.
Das Schwarze Loch
Wer täglich solche Verrücktheiten ernsthaft und professionell durchdenken muss, wundert sich natürlich nicht mehr, wenn jemand anmerkt, dass die Gleichungen der Physik ein apokalyptisches Ende der Welt vorhersagen. Gemeint sind die Gleichungen, mit denen Einstein den Kosmos beschreibt. Sie ermöglichen den Kollaps des ganzen Weltalls aufgrund seiner Masse. Auf diesen Tatbestand hat als Erster Robert Oppenheimer hingewiesen, als er noch mit Wheeler
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