Die Hintertreppe zum Quantensprung
(und Einstein) in Princeton zusammen war. Danach ging er in die Wüste von New Mexico, um für sein Land und sein Volk das Manhattan-Projekt zu leiten.
Bleiben wir bei der Physik, dann nimmt Oppenheimers Einsicht Bezug auf die in Einsteins kosmischer Physik enthaltene (mathematische) Möglichkeit, dass dann, wenn erst einmal genügend Masse in einem wahrhaft gigantischen Stern versammelt ist, sich diese Materiemenge nicht ruhig verhält und stabil bleibt. Sie agiert vielmehr auf die seltsamste Weise und rückt unter dem Einfluss ihrer eigenen Schwerkraft enger zusammen. Erst nimmt nur die Dichte zu, wie man es aus dem Alltag kennt, wenn wir etwa einen Schneeball formen und zusammendrücken. Dann greift die Schwerkraft die Atome selbst an und presst die Elektronen in den Kern hinein. In diesem entstehen dann Neutronen, die alleine übrig bleiben und eine neue Art von Materie entstehen lassen. Sie ist später tatsächlich gefunden worden, nämlich auf den Sternen, die folgerichtig als Neutronensterne bezeichnet werden. Auf ihnen ist eine Handvoll Materie so schwer wie ein Kreuzfahrtschiff oder ein Jumbojet. Damit ist die Entwicklung aber noch nicht zu Ende, die mit der ursprünglichen Massenversammlung begonnen hat. Die Neutronen selbst können nämlich in sich zusammenstürzen, und dieses Einbrechen setzt sich fort – so Oppenheimers Mitteilung an Wheeler 1939 –, bis alles auf einen Punkt zusammenstürzt. Theoretische Physiker sagen zu diesem Punkt »Singularität«. In ihr verschwindet die ganze Masse in einem apokalyptischen Akt.
Das war zwar verrückt, aber es hatte einen methodischen Rückhalt – erst in der Mathematik und nach dem Zweiten Weltkrieg auch mehr und mehr in kosmischen Beobachtungen. Und so wurde die gerade skizzierte »gravitationsbedingt instabile stellare Materie« ein Thema, das Kosmologen und Astrophysiker lockte, die das Weltall mit Quantensprüngen anreichern, ausmessen und erfassen wollten. Das heißt, bis in die 1960er-Jahre gab es nur die Fachwelt, die über die Problematik nachdachte, aber dieser Zustand änderte sich schlagartig 1968. In diesem Jahr hielt Wheeler einen Vortrag über die Konsequenzen, die Einsteins Theorien bezüglich des Kosmos mit sich brachten. Sein Bericht fing schon sprachlich wunderbar an, als er die Allgemeine Relativitätstheorie mit folgenden Worten zusammenfasste: »Die Materie sagt der Raumzeit, wie sie sich zu krümmen hat, und die Raumzeit sagt der Materie, wie sie sich zu bewegen hat.«
Die Materie – vorausgesetzt, sie ist in ausreichender Menge vorhanden – schien sich nun auf diesen einzelnen Punkt (Singularität) zubewegen zu können, um in ihm zu verschwinden. Wheeler störte etwas an dieser Prognose. Zu den ehernen Grundsätzen seiner Wissenschaft, an denen selbst die Quantensprünge nicht vorbeikamen, gehörte die Feststellung, dass so ohne Weiteres keine Ordnung aus Unordnung entsteht und dass nur die Unordnung (das Chaos) spontan zunimmt. An dieser Stelle operieren die Physiker, anbei bemerkt, mit dem Begriff »Entropie«. Angenommen, so Wheeler, irgendwo im Universum ist die Unordnung tatsächlich gewachsen (hat die Entropie zugenommen), wie gehen wir dann mit ihr um, wenn sie in dem oben genannten Punkt verschwindet und uns mit der Singularität alleinlässt? Wenn Unordnung aus der Welt verschwindet, dann muss die Ordnung in der Welt zugenommen haben. Damit wären aber die Gesetze der Physik verletzt, wobei noch erschwerend hinzukommt, dass der Grund des Übels zugleich mit abgehauen und verschwunden ist, nämlich in den apokalyptischen Punkt. Wheeler sprach elegant von der Vernichtung von Beweismaterial. Er befürchtete, die Singularität in Einsteins Theorie würde das »perfekte Verbrechen« erlauben, und rief seine Kollegen auf, sich mehr Gedanken über die »gravitationsbedingt instabile stellare Materie« zu machen. Und als er diese verflixten vier Worte zum x-ten Mal aussprach, war er sie plötzlich leid. Er schlug vor, sie ihrer Unaussprechlichkeit wegen zu ersetzen und stattdessen von einem »schwarzen Loch« zu reden, in dem zuletzt alles verschwindet. Einer der populärsten Begriffe, eine der ansprechendsten Metaphern nicht nur der modernen Physik, sondern auch der modernen Gesellschaft war damit geboren – das Schwarze Loch. Es findet sich täglich in allen möglichen Verbindungen in den Medien. Ob nun Steuergelder in Schwarzen Löchern verschwinden oder das Gedächtnis von Politikern Schwarze Löcher aufweist, wir alle
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