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Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis

Titel: Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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betreten hatte. Die beiden Männer wechselten einige unverständliche Worte. Erika Konrad schluchzte in den Bodenbelag aus Linoleum hinein.
    Die Verachtung war in Siegerlächeln übergegangen, als Heinrich Priesske erneut auf sie zukam. Sein Zahnfleisch glänzte im Neonlicht. »Frau Konrad«, sagte er freundlich. »Frau Konrad. Wollen Sie uns nicht ein wenig von Ihrer Tochter erzählen?«
     
    Ihre Füße tappten über den nackten Steinboden. Als sie vor einem halben Jahr in das alte Kutscherhaus eingezogen war, hatte sie als Erstes sämtliche Holzdielen herausreißen und Marmorfliesen verlegen lassen. Alles außer Marmor machte sie krank.
    Obwohl das Thermometer noch immer zweiunddreißig Grad anzeigte, war der Boden kühl. Dem Stein waren die Temperaturen, die draußen herrschten, egal. So egal, wie sie ihr selber waren. Kein Schweißtropfen befleckte das weiße Chiffonkleid, das ihren Körper von den schmalen Schultern bis zu den Knöcheln umfloss.
    Sie ging an den Kühlschrank und öffnete die Tür. Blaues Licht ergoss sich über ihre Füße. Sie lachte. Immer, wenn sie im Dunkeln eine Kühlschranktür öffnete, musste sie lachen. Es erinnerte sie an den letzten Griechenlandurlaub mit Vater. An das hässliche Hotelzimmer in Delphi, in dem sie zehn Tage gewohnt hatten. Die Neonlampe an der Decke war grässlich gewesen, und deshalb hatten sie, wenn sie von ihren Tagesausflügen spät zurückgekehrt waren, das Zimmer stets im Dunkeln betreten. Und dann hatten sie im blauen Licht des offenen Kühlschranks gesessen, Frappé getrunken und Homer rezitiert. ANDRA MOI ENNEPE, MUSA, POLYTROPON, HOS MALA POLLA -
    Sie lachte und holte eine Dose Eistee aus dem mittleren
Kühlschrankfach. Die restlichen Dosen verschob sie so, dass wieder eine gleichmäßige Ordnung entstand. Unordnung konnte sie nicht ertragen. Mit Dose und Strohhalm setzte sie sich auf den Küchentisch und ließ die Beine baumeln.
    Am letzten Abend, bevor sie sich in die schmalen Hotelbetten schlafen gelegt hatten, hatte Vater sie an den Schultern gefasst und gesagt: »Kind. All diese Idiotenväter, die stolz darauf sind, mit ihren Söhnen am Lagerfeuer zu sitzen. Ich bin so glücklich. Dass ich eine solche Tochter habe.«
    Ihr Blick verlor sich in dem blauen Kühlschranklicht. Sie setzte den Strohhalm ab. PALLAD’ ATHENAIEN KYDREN THEON ARCHOM’ AEIDEIN -
     
    Sie schloss die Augen. Ein Lächeln schlüpfte in ihr Gesicht. Ihre Lippen bewegten sich von selbst.
    Pallas Athene, die ruhmvolle Göttin, will ich besingen,
    Eulenäugig, vieles beratend, spröde im Herzen,
    Züchtige Jungfrau, Städtebeschirmerin, mutig zur Abwehr
    Ist sie, Tritogeneia, die Zeus, der Berater, erzeugte
    Selbst aus seinem erhabenen Haupt, zum Kampfe gewaffnet
    Golden und ganz voll Glanz.
    Sie legte den Kopf in den Nacken und stieß einen lang gezogenen Seufzer aus. Sie war glücklich. So rund und eben und glücklich wie ein Ei.
    Als sie die Augen wieder öffnete, fiel ihr Blick auf die Mayonnaisetuben in der Kühlschranktür. Kraft. Kraft war gut. Kraft würde sie in dieser Nacht brauchen.
    Sie schraubte eine der Tuben auf, drückte sich einen Strang direkt in den Mund, schraubte die Tube zu, strich das Ende glatt und klappte den Falz um. Einmal. Zweimal. Immer Ordnung halten.
    Sie leckte sich über die Lippen. Mayonnaise war gut, wenn
man aufgeregt war. Dennoch würde sie dem Sog, der vom offenen Kühlschrank ausging, nicht mehr lange widerstehen können.
    Ohne es zu merken, quetschte ihre Hand die Dose zusammen. Ein Schwall Eistee schwappte über ihr weißes Kleid. Sie sprang auf und schleuderte die Dose in die Spüle. Mit blitzenden Augen starrte sie auf den Fleck, der sich in das zarte Chiffongewebe gesogen hatte. Sie musste das Kleid wechseln. Unmöglich konnte sie das, was sie vorhatte, in einem befleckten Kleid tun!
    Sie rannte ins obere Stockwerk und riss die Tür zu der ehemaligen Abstellkammer, die ihr Kleiderschrank war, auf. Der Steinkauz, der auf einem Balken gedöst hatte, flatterte in die Höhe. Srrt, srrt, fauchte ihr der erschreckte Vogel entgegen.
    »Alex, verschwinde«, sagte sie, »du hast hier drinnen sowieso nichts zu suchen.« Hastig schritt sie die zwei Reihen makellos weißer Kleider und Anzüge ab, die in der Kammer hingen. Sie schlüpfte aus dem befleckten Kleid, warf es in die Ecke und zerrte ein neues vom Bügel. Mit heftigem Flügelschlag rauschte der Steinkauz an ihr vorbei und verschwand in dem dunklen Dachgewölbe. Schneller noch, als sie die Treppen

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