Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
Fragtest, was ich wieder erlitten, was ich
Wiederum riefe -«
»Ja, reib dich, streichle dich, ich will sehen, wie du nass wirst.«
»Was ich maßlos wünschte, dass mir geschähe,
Rasend in der Seele. › Ja, wen soll Peitho
Deinem Liebeswerben verführen, wer, o
Sappho, verschmäht dich?«
»Geh mit dem Finger in dich rein. Ja. Tiefer.«
»Ist sie heut noch flüchtig , wie bald schon folgt sie,
Ist sie Gaben abhold, sie selbst wird geben,
Ist sie heut noch lieblos, wie bald schon liebt sie,
Auch wenn sie nicht will.«
»Meine Göttin, was machst du mit mir?« Tiefer Tremor.
»Komm zu mir auch jetzt; aus Beschwernis lös mich,
Aus der Wirrnis; was nach Erfüllung ruft in
Meiner Seele Sehnen, erfüll. Du selber
Hilf mir im Kampfe.«
»Ja - ja - ja - aaah - ich -«
Olaf Wössner stieß einen erstickten Schrei aus. Mit beiden Händen fasste er sich in die Hosenmitte.
»Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein,
Langen und bangen in schwebender Pein,
Himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt,
Glücklich allein ist die Seele, die -«
Das Lied erstarb Franz auf den Lippen. Ratlos starrte er die junge Frau an, die vor Kyras Tür hockte und ihn angrinste.
Kyra fand als Erste die Sprache wieder. »Scheiße«, fauchte sie, »was machst du denn hier?«
»Is das dein Macker?« Isabelle Konrad verzog die Mundwinkel. »Also n bisschen mehr Geschmack hätt ich dir ja schon zugetraut.«
»Kleine. Pass auf.« Kyra packte die Konrad-Tochter an ihrem Lederjackenkragen und riss sie in die Höhe. »Du hast zwei Möglichkeiten. Entweder, ich werf dich gleich die Treppe runter, oder du sagst mir vorher noch in zehn Worten, was du willst.«
»Ist da oben bald Ruhe«, schallte die Stimme der Blockwartin durchs Treppenhaus. »Ich rufe die Polizei.«
Auch wenn ihr äußerlich nichts anzusehen war, spürte Kyra, wie sich die Grüne verkrampfte. Sie ließ sie los. »Hast du wieder Ärger mit den Bullen?«
Isabelle zupfte beleidigt an ihrer Lederjacke. »Ich will mit dir allein reden. Ich hab dir was zu erzählen. - Ich bin sicher, dass du heiß drauf bist«, schob sie hinterher, als Kyra nicht antwortete.
Kyra dachte eine halbe Sekunde nach. Und sie musste nicht weiter überlegen, wie sie es am besten sagte, denn Franz hatte sich bereits auf dem Absatz umgedreht.
»Franz, hör zu!«
Aber Franz hörte nicht zu, er rannte die Treppe hinunter.
Kyra stieß die Luft aus. »Scheiße.« Sie blitzte die Grüne an. »Machst du eigentlich auch mal was anderes als Ärger?«
Fluchend hängte sie sich übers Treppengeländer. »Franz, verdammt, Franz«, rief sie und rannte einige Stufen hinterher. »Franz, sei nicht albern!«
Sie hörte, wie die Haustür knarzend ins Schloss sank.
Es war eine eigenwillige Nacht. Still und voll fiebriger Unruhe zugleich. Gustav Eisenrath streifte sich die graukarierte Schiebermütze vom Kopf und legte den Kopf in den Nacken. Eine leichte Brise strich über seine Glatze. Nicht unangenehm. In irgendeinem Theaterstück - welches, fiel ihm nicht mehr ein - sagte jemand, dass der Mond wie eine tote Frau
aussähe. Wie eine tote Frau, die von irgendwoher aufstieg. Er lehnte sich an die Ufermauer.
Es war kein gutes Zeichen, dass er in letzter Zeit so viel an den Tod dachte. In früheren Jahren hatte er sich bei der Arbeit immer so sicher wie der Stein gefühlt, der am Schluss stehen blieb und sich Skulptur nannte. Doch seitdem er an dem Zeit-Gewalt-Zyklus arbeitete, fühlte er sich wie die Steinbrocken, die vom Granitblock abgeschlagen und am Abend aus dem Atelier gefegt wurden. Dachte er falsch? War in diesem Fall das Weggeschlagene das eigentliche Werk und nicht das Stehengelassene?
Er schaute seinem langen roten Seidenschal zu, wie er in der nächtlichen Brise wehte. Eine Wunde im schwarzen Fleisch der Nacht. Manchmal bedauerte er es, kein Dichter geworden zu sein.
Er blinzelte. Irgendetwas hatte weiß aus dem schwarzen Wasser hervorgeblinkt. Dort noch einmal. Jetzt war es wieder weg. Sicher nur ein Fisch, der sich in die Spree verirrt hatte. Der sich in die Spree verirrt und dem die Spree den Magen umgedreht hatte.
Gustav Eisenrath schüttelte sich und setzte seine Mütze wieder auf. Es schlug Mitternacht. Ein fast schon beklemmendes Gefühl der Feierlichkeit beschlich ihn, als er die Brücke zum Pergamon-Museum betrat. Als sei es selbst und nicht erst der Altar das Heiligtum, lag das monumentale Steingebäude im Mondlicht. Präfaschistischer Größenwahn. Er war verrückt, dass er
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