Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
begriffen, dass es ein guter, ein sinnvoller Mord war. Wenn du dir die Presse anschaust, die unsere Köpferin bekommt, da begreift keiner, was sie will. Warum teilt sie uns nicht mit, wieso ihre Morde an den beiden alten Knaben wichtig und richtig waren?«
»Vielleicht hat sie ja private Gründe. Von denen sie findet, dass sie die Öffentlichkeit nichts angehen.« Franz wirkte immer noch erschüttert.
»Aber was für Gründe sollten das sein? Hass auf alte Kulturknacker? Rache? Wenn ich mir Konrad und diesen Bibliothekar nebeneinander anschaue, kann ich mir kaum vorstellen, dass sie sich jemals an derselben Frau vergriffen haben.«
»Es müssen ja nicht sie selbst gewesen sein. Reicht ja, wenn es einer war, der so ausschaut wie sie.«
Kyra nahm sich noch einmal das Homberg-Foto vor. »Hm. Also, besonders auffällig finde ich die Ähnlichkeit
zwischen dem hier und unserem Alten ja nicht. Okay, die Aufnahme ist nicht ganz aktuell. Wenn du das hier hochrechnest, müsste er mittlerweile eine ziemliche Glatze gehabt haben. Und seinen Bart wird er ja wahrscheinlich behalten haben. Also: alte Männer mit Vollbart und Glatze?«
Sie schaute Franz an. Und plötzlich wusste sie, was sich an ihm verändert hatte. »Du warst beim Friseur«, stieß sie hervor.
Mit einem Seufzer der Erleichterung strich er sich über den beinahe gepflegt zu nennenden Haarkranz. »Ich dachte schon, du würdest es gar nicht mehr bemerken. Gefällt es dir nicht?«
»Ah, ja, ja, doch schon«, stammelte Kyra. Sie war fassungslos. Seitdem sie Franz kannte, hatte er keine anderen Klingen an Bart und Haare herangelassen als die seiner eigenen Nagelschere. »Aber -«
»Ich habe mir auch ein neues Jackett gekauft.« Stolz fasste er sich ans Revers. »Beim Adlmüller in der Kärntnerstraße.«
»Um Gottes willen, Franz. Du hast dich doch nicht etwa verliebt?«
Endlich, auf dem Boden der einundzwanzigsten Kiste, war er fündig geworden. Schwere, in rotes, blaues und grünes Leder gebundene Bücher. Törner entschied sich für das rote zuerst. Urlaub in Griechenland 1985 stand in handgeschriebener Schönschrift auf dem Deckblatt. Ein Reisealbum. Postkarten, Fotos, Eintrittskarten und hier und da eine Zeichnung. Die Eintrittskarten zeigten Tempel, die Postkarten zeigten Tempel, die Zeichnungen zeigten Tempel, und die Fotos zeigten auch Tempel. Mit einer glücklichen Familie, die zwischen den Säulen herumstand.
Törner ließ das Album sinken. Auch er war einmal mit seiner Familie in Griechenland gewesen. Bevor ihn seine Frau hatte sitzen lassen. Auch seine Frau hatte so ein Reisealbum
angelegt, mit Postkarten, Fotos und Eintrittskarten drin und hier und da einem schüchtern zu Ende gemalten Tempel.
Törner betrachtete wieder die Bilder vor ihm. Merkwürdig, wie sehr ihm diese Bilder einflüstern wollten, seine Familienzeit sei eine glückliche gewesen, der es nachzutrauern galt. Seine Familie war keine glückliche gewesen, und auch die Familie, die er auf den Fotos hier sah, war keine glückliche. Glückliche Familien fuhren im Sommer nicht nach Griechenland.
Er zwang sich, seinen Blick auf das zu konzentrieren, was er eigentlich suchte. Isabelle Konrad war auf fast allen Fotos zu sehen. Erika Konrad war nur selten im Bild. Offensichtlich war sie die Fotografin in der Familie gewesen. Ihren Mann hatte sie nicht halb so oft fotografiert wie ihre Tochter. Obwohl er attraktiv war. Mit dem Vollbart und der geraden Nase hätte man ihn für einen griechischen Gott halten können, wie er dort auf dem Säulenstumpf saß und übers Meer hinausblickte. Isabelle Konrad war dagegen ein recht unauffälliges Mädchen gewesen. Mager, kurzer Pony, mäßig braun gebrannt, ein paar Sommersprossen. Und wenn Törner es recht bedachte, war die Konrad-Tochter immer noch ein unauffälliges Mädchen. Trotz grüner Haare und Ring in der Nase.
Das Einzige, das ihm auffiel, war, dass sie auf allen Fotos Jeans trug. Nirgends war sie im Badeanzug oder im Rock zu sehen. Sicher musste es heiß gewesen sein. In Griechenland. Aber was hatte das schon zu bedeuten. Es gab hundert harmlose Erklärungen dafür, dass Isabelle Konrad keine kurzen Röcke oder Kleider getragen hatte. Vielleicht hatte sie ihre Beine hässlich gefunden. In irgendeinem Eltern-Ratgeber hatte er neulich gelesen, dass Mädchen in der Pubertät dazu neigten, ihre Beine für hässlich zu halten. Das war es nicht, was er suchte.
Törner blätterte langsam weiter. Streng genommen war
Isabelle Konrad sogar ein
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