Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis

Titel: Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
Vom Netzwerk:
hergekommen war. Aber die Kleine heute Nachmittag hatte ihn auf unheimliche Weise durchschaut. Fast kam es ihm vor, als habe sie mehr über seine Arbeit gewusst als er selbst. War sie am Ende die Muse, deren Kuss er so lange vermisst hatte?
    Im rechten Flügel des Hufeisenbaus entdeckte er den Seiteneingang, den sie ihm beschrieben hatte. Hundert Mal schon war er über den Platz gegangen, und noch nie war ihm der Seiteneingang aufgefallen. Der Mensch war so ein jämmerlicher
Beobachter. Vorsichtig klopfte er gegen die Tür. Sie gab seinem Druck nach.
    »Hallo«, rief er leise ins Schwarz hinein, »hallo?«
    Niemand antwortete. Allmählich begann er, Konturen zu erkennen. Ein Treppenaufgang. Eine Tür. Er rief noch einmal. Nichts. Die Kleine hatte ihn nur auf den Arm genommen. Von Anfang an hatte er gewusst, dass sie es nicht ernst meinte. Sie war gar nicht im Stande, ihn nachts zum Altar zu bringen. Sein Herz hatte sich schon zum Gehen gewandt, als er vor seinen Füßen das Ende eines Fadens entdeckte. Eines roten Fadens, der die Treppe hinauf und mitten in die Dunkelheit hineinführte.
     
    »Also. Was ist los?« Kyra knallte ihre Lederjacke auf einen Bügel.
    Isabelle Konrad blieb im Kücheneingang stehen. »Willst du mir nicht erst mal n Bier anbieten?«
    »Die Bullen sind wieder hinter dir her«, stellte Kyra fest, während sie zum Kühlschrank ging und zwei Flaschen Bier herausholte.
    N ziemlich geilen Hintern hast du.
    »Was ist?« Kyra drehte sich fassungslos um.
    Die Grüne lehnte am Türrahmen. »Ich hab nix gesagt.« Sie grinste freundlich. »Kann es sein, dass du schon ne ganze Menge intus hast?«
    Kyra fuhr sich übers Gesicht. »Mädchen, mach mich nicht wahnsinnig. Es gibt ein Spiel, auf das ich jetzt überhaupt keine Lust habe, und das heißt: Mal-sehen-wie-lange- die-Alte-braucht-mir-die-Würmer-aus-der-Nase-zu-ziehen. Also, was ist los?«
    Isabelle schnappte Kyra eine der beiden Bierflaschen aus der Hand und setzte sich auf den Küchentisch. Sie ließ die Beine baumeln. »Heut Abend war schon wieder so n Bulle in der Villa.«
    »Und?«

    »Mann, da bin ich eben getürmt. Hatte keinen Bock, dass der mir schon wieder auf die Eier geht.« Mit einem gezielten Schlag öffnete sie die Bierflasche an der Tischkante.
    Kyra ging mit ihrem Gesicht ganz nah an das Gesicht der anderen heran. »So. Und das ist der Grund, weswegen du mitten in der Nacht vor meiner Tür hockst und mir auf die Eier gehst.«
    »Ich dachte, du freust dich vielleicht, mich zu sehen.« Isabelle nahm Kyra die zweite Flasche aus der Hand, hebelte auch ihr den Kronkorken weg und gab sie Kyra zurück. »Prost.«
    Kyra war nicht sicher, wen sie lieber geschlagen hätte, die Grüne oder sich. »Zisch ab!«
    »Du hättst mich ja nich reinlassen brauchen.«
    »Jeder macht mal Fehler.«
    »Du kannst mich doch nich einfach wieder rauswerfen.« Arme-kleine-Waisen-Nummer. »Wenn du mich bei dir pennen lässt, sag ich dir, was der Bulle von mir wollte.« Arme-kleine-Lolita-Nummer.
    Kyra holte tief Luft. Auf halber Strecke überlegte sie es sich anders. »Okay. - Was wollte der Bulle?«
    »Wolln wir nich erst mal in n anderes Zimmer gehen, wo wirs uns n bisschen gemütlicher machen können?«
     
    Der rote Faden hatte ihn sicher geführt. Durch die Dunkelheit hindurch, an geschlossenen Türen vorbei, Treppen hinauf, ins Museum hinein, an der Löwenwand entlang Babylonischer Kachelkitsch, unter dem Mantel der Nacht sah man wenigstens das entsetzliche Blau nicht - zwischen schlafenden Skulpturen hindurch, am großen Tor von Milet vorbei, bis in den Pergamon-Saal hinein. Mondlicht fiel durch das gläserne Dach.
    Gustav Eisenrath blieb stehen. Sein Herz, das die ganze Zeit schon heftig geklopft hatte, galoppierte davon. Was er in der Dunkelheit sah, schemenhaft zwar, aber deshalb umso
deutlicher, war nicht länger Stein, erstarrter Augenblick, sondern echte Schlacht. Schlangen züngelten ihm entgegen, eine Göttin mit Schlangen im Haar rauschte an ihm vorbei, Todesschweiß glänzte auf den Körpern, ein Gigant kämpfte mit seinen Eingeweiden, sein Leib war aufgeplatzt wie eine überreife Frucht, dem Löwen hing ein Arm aus dem Maul, eine Göttin setzte ihren Fuß auf einen Schädel, der Schädel knackte, in schwere Stücke brach das Haupt.
    Ohne dass er selbst es gemerkt hatte, hatte es Gustav Eisenrath weiter in den Saal hineingezogen, dorthin, wo sich das marmorne Hufeisen für den Betrachter öffnete. Und jetzt erst sah er, dass die Figuren nicht

Weitere Kostenlose Bücher