Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
ausgesprochen hässliches Mädchen gewesen. Ein hässliches Entlein an der Seite ihres strahlenden Vaters. Er vertiefte sich in ein Bild, auf dem Robert Konrad seiner Tochter einen Strohhut auf den Kopf setzte und sie eine motzige Grimasse schnitt. Törner hielt das Album näher ans Gesicht. Ja. Ja. Ja. Da war es. Eindeutig. Ein Glücksstrahl, griechisch sonnenhell, durchzuckte ihn. Er hatte gefunden, wonach er gesucht hatte. Hastig riss er das Foto aus dem Album heraus. Er lief in die Halle und zog seine Waffe aus dem Holster. Doch noch während er sie entsicherte und in den ersten Stock hinaufschlich, ahnte er, dass er oben niemanden mehr finden würde.
»Wohl bekomms.« Franz und Kyra ließen die Gläser aneinanderklirren.
»Bist du eigentlich mal der reizenden Tochter vom Alten über den Weg gelaufen?«
Franz schnäuzte sich. »Nicht, dass ich wüsste.«
»Wüsstest du: zwanzig Jahr, grünes Haar.«
Er stopfte das große Stofftuch in die Innentasche seines neuen Jacketts.
»Die Polizei scheint irgendwie zu glauben, dass sie unsere Judith-Salome ist.«
»Du meinst, sie hat den Alten abgemurkst? Das kann nicht sein. Alte abmurksen tun nur Männer.«
Kyra zog die linke Augenbraue hoch.
»Es gibt nur einen Grund, deinen Vater abzumurksen«, erklärte Franz mit zwei Fingern im Glas. »Und das ist, weil du deine Mutter vögeln willst. - Wenn du mich einen Augenblick entschuldigen würdest.«
Leicht schwankend stand er auf. Jetzt erst merkte Kyra, wie ordentlich ihr kleiner Freund betankt war. Er schlingerte wie die Pallas , kurz bevor sie sich in die Nordsee entleert hatte. Musste am neuen Haarschnitt liegen, dass er nichts mehr vertrug. Lächelnd schaute sie ihm hinterher.
Ödipus. Isabella Ödipus. Eine interessante Möglichkeit. Aber was für einen Sinn machte dann der Bibliothekar? Trotzdem. Der lesbische Ödipus war spannend in sich. Sie sollte einen Artikel darüber schreiben. Sobald Wössner das nächste Mal auf Dienstreise war.
»Du humpelst ja immer noch«, begrüßte sie Franz, als er vom Klo zurückkam. »Willst du mir nicht doch verraten, was du angestellt hast.«
Er ließ sich auf die Bank plumpsen. »Das willst du gar nicht hören.«
»Aber sicher doch. Auf Blut- und Wunden-Storys bin ich immer scharf.«
»Ich hab versucht, mir den Schwanz abzuschneiden.« Seliges Lächeln.
Eine Sekunde blieb Kyra der Mund offen, dann lachte sie, dass ihr das halbverdaute Jever zur Nase rauskam. »Findest du nicht, dass es etwas spät ist, um aus dir eine Franzi zu machen? Außerdem gibts für so was Profis.«
»Ich habe es für dich getan.« Noch seligeres Lächeln.
»Für mich?«
»Jawohl.« Höchst zufrieden strich sich der Löwe über den frisch getrimmten Bart.
»Kannst du mir das vielleicht genauer erklären?«
»Ich habe nachgedacht. Seitdem wir neulich - in dieser Nacht - du weißt schon - geredet haben. Und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass das Einzige, was noch zwischen uns steht, mein Schwanz ist.«
»Wow.« Kyra lehnte sich auf der Holzbank zurück und holte Luft. »Wow. Das ist mehr, als ich erwartet hätte.« Sie winkte der Kellnerin. »Haben Sie Champagner da? Die teuerste Flasche, die Sie im Keller haben.«
»Einfach erfrischend sauber fühlen. Einfach den Tag genießen. Ganz einfach mit der seidig weißen Oberfläche der Always-Slipeinlage.«
Doktor Olaf Wössner lehnte sich in dem hochlehnigen, hochledrigen Schreibtischsessel zurück und verzog das Gesicht.
Er hatte nie verstanden, warum Robert Konrad sein Büro mit diesem Fernseher verseucht hatte. Ganz am Anfang hatte er ihn einmal darauf angesprochen, aber der Alte hatte nur gelacht, ihm auf die Schulter gehauen und gesagt: »Doktor Olaf, du bist der schnöseligste Schnösel, der mir jemals begegnet ist. Herrlich!«
Mit spitzem Finger zappte Wössner weiter.
»Seine letzten Worte waren: Zu spät. Wir haben zu lange gewartet.«
Der Milchbubi auf dem Bildschirm heulte. Wössner musste lächeln. Wenn er daran dachte, dass es noch keinen Monat her war, dass er auf der anderen Seite dieses Tisches gesessen und zu dem Alten aufgeblickt hatte -
»Ich weiß nicht, womit ich nicht so lange warten soll.«
Zap.
Probehalber legte Wössner die Beine auf den Tisch und nahm sie gleich wieder herunter. Nicht seine Stellung. Er wischte mit dem Ärmel über die schwarze Holzplatte. Ordnungstechnisch war es ein Glück, dass der Alte keines natürlichen Todes gestorben war.
Entsetzt hielt Wössner inne. Wie konnte er nur so
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