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Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis

Titel: Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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Steinfußboden, die Wände, die Küchenschränke, sogar die Spüle schien nicht aus Metall, sondern aus weißem Keramik oder Email zu sein. Die Herzlose lebte in einer Schneewittchenhütte.
    Komm her, du Bastard! Ich weiß, dass du hier bist.
    Sie stützte sich auf den weißen Küchentisch und versuchte, ruhig zu atmen. Irgendwo glaubte sie, ein leises Rascheln zu hören. Winzige Füßchen, die über den Steinfußboden rannten. Die sieben Zwerge, die loseilten, um ihre Geliebte, die im Glassarg schlief, zu warnen.
    Kyra schälte sich aus der nassen Lederjacke und ließ sie zu Boden fallen. Der Anblick des dunklen Haufens auf dem makellosen weißen Boden verschaffte ihr Genugtuung.
    Die Küchentür stand offen. Bei jedem Schritt, den sie machte, quietschten ihre Füße in den durchweichten Schuhen. Sie kam in einen kleinen Flur. Rechts führte eine enge Treppe nach oben, links war die Eingangstür, geradeaus gab es eine zweite Tür, die verschlossen war. Auch hier: alles weiß. Ihr Herz schlug schneller. Langsam drückte sie die Klinke zu dem Raum.
    Es war ein Wohnzimmer. Genau genommen war es ein Raum, der einmal ein Wohnzimmer gewesen war. Jetzt war er ein Lager, in dem alte Polstermöbel wild aufeinandergehäuft waren. Kyra begriff. Die Herzlose hatte das Gartenhaus möbliert gemietet. Und hatte alle unweißen Möbel in einen Raum geschafft.
    Kyra zuckte zusammen. Irgendwo hinter ihr, über ihr hatte es ein Geräusch gegeben.
    Sie schloss die Tür zum Möbellager. In diesem Raum würde sie nichts und niemanden finden. Dieser Raum gehörte nicht zum Reich der Herzlosen.

    Wieder hörte sie das Geräusch. Es musste aus dem oberen Stockwerk kommen. Noch immer hatte sie kein Licht gemacht. Im Dunkeln stieg sie die schmalen Stufen hinauf. Trotz des Weiß war es jetzt so finster geworden, dass sie die eigene Hand nicht sehen konnte, mit der sie sich am Geländer hochtastete. Jede Stufe ächzte anders. Es wunderte sie, dass die Herzlose nichts dagegen unternommen hatte. Ihre Ohren schienen weniger reizempfindlich als ihre Augen zu sein.
    Kyra spürte einen Luftzug. Sie blieb stehen. Langsam begannen ihre Augen wieder zu sehen, sie näherte sich dem Ende der Treppe. Oben war ein kleines quadratisches Fenster. Vor dem sich ein Schatten abzeichnete. Eine Blumenvase? Nein. Es wäre eine sehr merkwürdige Form gewesen. Außerdem hatte sie das absurde Gefühl, dass dieser Schatten sie anstarrte. Jede ihrer hilflosen Bewegungen beobachtete. Da war jemand.
    Sie blieb stehen. Ihr Puls raste. Der Schatten spürte ihre Angst, krächzte böse, kek-kek-kek, sprang auf, sprang ihr ins Gesicht, sie schlug um sich, traf nur die Luft, die das Ding aufgewühlt hatte, es krächzte, sie schrie und schrie gleich noch einmal, als sie ihren eigenen Schrei hörte.
    Was war das?
    Obwohl sie es nicht mehr sehen konnte, spürte sie, dass es jetzt am Fuße der Treppe saß und sie weiter anstarrte. Sie hörte ein Fauchen, wie sie es noch nie gehört hatte. Und dann wieder dieses kek-kek-kek. Ein Vogel. Es musste ein Vogel sein. Die Herzlose lebte mit einer gottverdammten Eule zusammen.
    Ihre Nerven lagen blank wie im Anatomieatlas. »Du elender Bastard, wo steckst du? «
    Ihre Stimme klang erbärmlich. Die Eule keckerte weiter.
    Wut trieb sie die restlichen Treppenstufen hinauf. Ohne zu zögern, stieß sie die Tür auf.
    Das Zimmer war leer. Das heißt: Sie sah nichts außer einem
flachen weißen Quader. Es musste ein Bett sein. Ihre Wut nahm zu.
    »Komm her! Komm endlich her!«
    Ihre Stimme schnappte über.
    Sie erschrak. Dort drüben hatte sich ein Schatten bewegt. Da. Wieder. Sie ging näher heran. Und erblickte sich selbst. Im Spiegel der Herzlosen. Ihr Gesicht fast so bleich wie die restliche Zelle. Ihr schauderte.
    Der Raum war karg möbliert. Außer dem Bett gab es zwei Leuchter, den Spiegel und darunter eine Kommode. Die Kommode hatte hinten, wo sie an die Wand stieß, ein erhöhtes Bord. Auf dem Bord lag ein Streifen weißer Satin. Und auf dem Satin standen vier Einmachgläser. Etwas schwamm in den Gläsern. Etwas Helles. Rundes. Das eine weich gewundene Struktur hatte.
    Kyra ging noch näher heran. Alle vier Gläser hatten Etiketten. Sie konnte immer noch nicht erkennen, was darin eingelegt war. Sie griff in ihre Hosentasche. Beim dritten Versuch flammte das nasse Feuerzeug endlich auf. Sie hielt es dicht an das Glas, das ganz rechts stand.
    »Franz«, las sie in feiner Schreibschrift. Franz.
     
    Es waren einmal vier Männer, die hießen

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