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Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis

Titel: Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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war. Sie zog die Hosen wieder hoch, knöpfte sie nicht zu, hielt sie nur mit der Linken fest und humpelte zur Fahrerseite zurück. Mit der freien Hand brach sie den Außenspiegel ab. Gut, dass er schon so lange locker war.
    Blut. Ihr ganzer Arsch war blutverschmiert. Sie spuckte auf die Finger und rieb an der Stelle, wo die Wunde sein musste. Sie konnte nichts erkennen. Nur unverletzte Haut. Aber das konnte nicht sein, da musste eine Wunde sein, denn da war doch dieser Nagel im Boden gewesen. Und der Nagel war rostig gewesen. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal gegen Tetanus geimpft worden war. Sie spuckte noch einmal und rieb heftiger.
    Hinter ihr bremste ein Auto. Laute Musik. Lauter als die vorbeirauschenden Autos. Jetzt war es wenigstens hell, vielleicht konnte sie im Scheinwerferlicht etwas erkennen.
    »Hey, Puppe, haste n Problem?«
    Da, ungefähr eine Handbreit links von dort, wo der Spalt aufhörte, da war etwas.
    »Ey, Rudi, ick glob, die braucht wen, der ihr beim Pissen hilft!«
    Gelächter. Mehrere.
    Sie schaute auf. Sie konnte die Männer nicht richtig erkennen, das grelle Scheinwerferlicht blendete sie, und die Haare hingen ihr ins Gesicht.
    »Ich habe eine Blutvergiftung«, sagte sie leise.
    »Was is los, Puppe, haste was gesagt?«
    »Können Sie einen Arzt rufen, ich habe eine Blutvergiftung.«
    »Ey, Mensch, mit der Alten stimmt was nicht, guckt euch die doch mal an. Die is ja total voll Blut.«
    »Ob die nen Unfall gehabt hat?«
    »Quatsch, Mann, die Karre von der is doch total in Ordnung. Die tickt nich richtig.«

    »Hey, Jungs, ick glob, ick weeß, was mit der los is. Die hat ihre Tage.«
    Gelächter. Der Motor jaulte auf. Kyra hörte nichts mehr. Der Wagen fuhr an ihr vorbei. Zwei Männer hingen aus den geöffneten Fenstern und winkten.
    Sie hatte eine Blutvergiftung. Sie würde sterben. Ein paar Tränen rollten ihr übers Gesicht. Sie hatte eine Blutvergiftung und würde sterben.
    Sie kletterte über die Leitplanke und ging ein paar Schritte in den Wald. Gehen. Gehen. Jetzt einfach nur gehen. Aber das brachte nichts. Sie musste zum Wagen zurück. Im Wagen war es auf jeden Fall besser als hier im Wald.
    Es roch nach Pilzen. Wenn sie jetzt starb, konnte sie nie wieder Pilze sammeln. Sie stolperte über einen Ast. Sie hatte noch gar nie Pilze gesammelt.
    Der Wind der vorbeirasenden Autos klatschte ihr die Haare ins Gesicht. Sie schlug die Tür zu und legte den Kopf aufs Lenkrad. Wenn sie wenigstens ihr Handy dabeigehabt hätte. Dann hätte sie jetzt jemanden anrufen können. Jemanden anrufen können.
    Sie fuhr hoch, als ob sie jemand berührt hätte. Ja, da war jemand gewesen. Jemand. Ihr lieber Jemand, der ihr helfen wollte. Sie wischte sich die Haare aus dem verklebten Gesicht und lächelte. Sei kein Kindskopf, Kyra, alles ist gut. Du startest jetzt den Motor, kehrst um und fährst zurück in die Stadt. Und da ist dann jemand, der sich um deine Blutvergiftung kümmert.
    Alles war gut. Sie lächelte, als sie den Schlüssel in der Zündung herumdrehte. Sie lächelte, als die Giulia anfuhr. Sie lächelte, als sie das Lenkrad ganz nach links herumkurbelte. Sie lächelte, als ihr die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Autos ins Gesicht strahlten.
     
    Sie war tot. Begraben. Hatte den Mund voll Erde. In der Ferne grollte Donner. Die Hölle.

    Sie spuckte aus. Und tastete um sich. Feuchte Erde und feuchtes Laub blieben zwischen ihren Fingern hängen. Warum hatte man sie ohne Sarg bestattet? Warum hatte man sie einfach so unter die Erde gelegt? Sie schlug die Augen auf. Schöne Hölle. Schöne Hölle, die ein dunkelgrünes Blätterdach hatte.
    Drei Bäume hinter sich entdeckte sie die Giulia. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Ihr Auto hatte versucht, den Baum hinaufzufahren. Aus der zusammengedrückten Kühlerhaube qualmte es. Wie schön. Wie schön, dass man die Giulia gemeinsam mit ihr beerdigt hatte.
    Es donnerte. Ein greller Schmerz zuckte durch ihre Brust. Sie fasste sich ans Herz. Wum-wum-wum-wumwum-wum , hörte sie es in ihren Ohren marschieren.
    Sie setzte sich auf. Verwirrt schaute sie um sich. Nicht tot. Sie war nicht tot. Davongekommen. In hohem Bogen aus dem offenen Fahrzeug geflogen.
    Es donnerte wieder. Das Gewitter kam näher.
    Mühsam richtete sie sich auf. Sie konnte stehen. Gut. Alles tat weh. Sie versuchte, einige Schritte auf dem weichen Waldboden zu machen. Es ging. Sie blieb stehen und atmete tief durch. Tot wäre einfacher gewesen. Tot hätte sie nichts

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