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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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sterben, Salon würde beide ausstopfen.
    Ich stürzte in die Klinik, als hätte ich die Labyrinthitis, fragte Leute, die von nichts wussten, rannte zweimal in die falsche Abteilung. Ich sagte zu allen, sie müssten doch wissen, wo Lia gebäre, und alle antworteten mir, ich solle mich beruhigen, alle seien hier, um zu gebären.
    Schließlich, ich weiß nicht wie, fand ich mich in einem Zimmer. Lia war blass, aber von einer perlfarbenen Blässe, und sie lächelte. Jemand hatte ihr Haar hochgebunden und in eine weiße Haube gesteckt. Zum erstenmal sah ich ihre Stirn in all ihrer blanken Pracht. Neben ihr lag etwas Kleines.
    »Das ist Giulio«, sagte sie.
    Mein Rebis. Auch ich hatte ihn gemacht, und nicht aus Leichenteilen und ganz ohne arsenhaltige Seife. Er war komplett, er hatte alle zehn Finger, und alle da, wo sie hingehörten.
    Ich wollte ihn ganz sehen. »O was für ein schönes Pimmelchen, und was für dicke Eier es hat!« Dann beugte ich mich über Lia und küsste sie auf die weiße Stirn: »Aber das ist dein Verdienst, Liebes, das ist in dir gewachsen.«
    »Na klar ist das mein Verdienst, Affe. Ich hab allein gezählt.«
    »Du zählst für mich alles«, sagte ich.

 
    81
     
    Das unterirdische Volk hat das höchste Wissen
    erreicht ... Wenn unsere wahnsinnige Menschheit
    einen Krieg gegen das unterirdische Königreich
    beginnen sollte, so wäre dieses imstande, die ganze Oberfläche unseres Planeten in die Luft zu sprengen.
     
    Ferdinand Ossendowski, Beasts, Men and Gods , 1924, Kap. V
     
    Ich blieb an Lias Seite, auch als sie aus der Klinik entlassen wurde, denn kaum war sie wieder zu Hause und musste dem Kleinen die Windeln wechseln, heulte sie los und sagte, das würde sie niemals schaffen. Jemand erklärte uns später, das sei ganz normal: nach der Euphorie über die gelungene Geburt komme das Gefühl der Ohnmacht angesichts der riesigen Aufgabe. In jenen Tagen, als ich zu Hause herumhing und mich unnütz fühlte, auf jeden Fall untauglich zum Stillen, verbrachte ich lange Stunden mit der Lektüre aller erreichbaren Schriften über Erdstrahlen und tellurische Ströme.
    Als ich dann wieder in den Verlag ging, sprach ich Agliè darauf an. Er machte eine übertrieben gelangweilte Geste: »Dürftige Metaphern für das Geheimnis der Schlange Kundalini. Auch die chinesischen Geomantiker suchten in der Erde nach den Spuren des Drachen, aber die tellurische Schlange stand nur für die geheime Schlange. Die Göttin liegt zusammengeringelt wie eine Schlange und schläft ihren ewigen Schlaf. Kundalini zuckt sanft vibrierend, bebt leise zischend und verbindet die schweren Körper mit den leichten. Wie ein Strudel oder ein Wirbel im Wasser, wie die Mitte der Silbe OM.«
    »Aber für welches Geheimnis steht die Schlange?«
    »Für die Erdstrahlen. Aber die wahren.«
    »Und was sind die wahren Erdstrahlen?«
    »Eine große kosmologische Metapher; und sie stehen für die Schlange.«
    Zum Teufel mit Agliè, ich wusste jetzt mehr.
     
    Ich teilte Belbo und Diotallevi mit, was ich wusste, und wir hatten nun keine Zweifel mehr. Endlich waren wir in der Lage, den Templern ein anständiges Geheimnis zu liefern. Es war die ökonomischste und eleganteste Lösung, und alle Teile unseres jahrtausendealten Puzzles fanden darin ihren Platz.
    Also. Die Kelten wussten von den Erdstrahlen. Sie hatten die Kunde von den Überlebenden aus Atlantis, die nach dem Untergang ihres Kontinents zum Teil an den Nil, zum Teil in die Bretagne emigriert waren.
    Die Atlantiden ihrerseits hatten die Kunde von jenen Urvätern des Menschengeschlechts, die bei ihren Wanderungen aus Avalon durch den Kontinent Mu bis in die australische Wüste gelangt waren – als alle Kontinente noch einen einzigen, zusammenhängenden Kernkontinent bildeten, das legendäre Pangäa. Noch heute bräuchte man nur imstande zu sein (wie es die australischen Aborigenes sind, aber die schweigen), die geheimnisvollen Schriftzeichen auf dem Felsmassiv von Ayers Rock zu lesen, um die Erklärung für alles zu haben. Ayers Rock ist der Antipode jenes großen (unbekannten) Berges, der den wahren Nordpol darstellt, den geheimen Pol, nicht den, zu welchem jeder x-beliebige bürgerliche Forscher gelangen kann. Wie üblich – und wie evident für jeden, der sich nicht vom falschen Wissen der westlichen Wissenschaften hat verblenden lassen – ist der sichtbare Pol der, den es nicht gibt, und der, den es gibt, ist der, den niemand zu sehen vermag außer einigen Adepten, deren Lippen

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