Die historischen Romane
verfasst worden ist und in dem die Ideen von Jolys Machiavelli-Napoleon III. nun Witte unterschoben werden. Ratschkowski mit seiner genialen Fälschergabe nimmt den Text, ersetzt Witte durch die Juden und bringt das Produkt in Umlauf. Der Name Cyon scheint wie geschaffen, um an Zion zu erinnern, und endlich lässt sich beweisen, dass ein angesehener jüdischer Exponent eine jüdische Weltverschwörung anprangert. So sind die Protokolle entstanden. Der Text fällt auch in die Hände von Juliane oder Justine Glinka, die in Paris das Milieu der Madame Blavatsky frequentiert und in ihren Mußestunden die im Exil lebenden russischen Revolutionäre ausspioniert. Die Glinka ist zweifellos eine Agentin der Paulizianer, die mit den Großgrundbesitzern liiert sind und daher dem Zaren einreden wollen, dass Wittes Programme dieselben seien wie die der jüdischen Weltverschwörung. Die Glinka schickt das Dokument an General Orgejewski, und dieser lässt es durch den Kommandanten der kaiserlichen Garde dem Zaren vorlegen. Witte bekommt Schwierigkeiten.
So hat Ratschkowski, mitgerissen von seinem antisemitischen Eifer, zum Unglück seines Beschützers beigetragen. Und vermutlich auch zu seinem eigenen. Denn von diesem Moment an verloren wir seine Spur. Vielleicht hatte sich Saint-Germain bereits zu anderen Verkleidungen und neuen Inkarnationen aufgemacht. Aber unsere Geschichte hatte jetzt ein plausibles, rationales und klares Profil gewonnen, wurde sie doch nun durch eine Reihe von Tatsachen gestützt, deren Wahrheit so unbestreitbar war – sagte Belbo wie die Wahrheit Gottes.
All das rief mir wieder in Erinnerung, was mir De Angelis über die Synarchie erzählt hatte. Das Schöne an der ganzen Geschichte – sicher an unserer, aber vielleicht auch an der Großen Weltgeschichte, wie Belbo mit fiebrigem Blick bemerkte, während er mir seine Notizen reichte –, das Schöne daran sei, dass Gruppen, die in tödlichem Kampf miteinander lagen, sich gegenseitig erledigten, indem sie jede die Waffen der anderen benutzten. »Die erste Pflicht eines Infiltrierten ist«, kommentierte ich, »diejenigen als Infiltrierte anzuklagen, bei denen er sich infiltriert hat.«
»Dazu fällt mir eine Geschichte aus *** ein«, sagte Belbo. »Bei Sonnenuntergang begegnete ich auf der Hauptstraße immer einem Typ namens Remo oder so ähnlich, der in einem schwarzen Fiat Balilla saß. Schwarzer Schnurrbart, schwarzes Kraushaar, schwarzes Hemd und schwarze Zähne, grässlich kariös. Und er küsste ein Mädchen. Und mich ekelten diese schwarzen Zähne, die dieses schöne blonde Ding küssten, ich weiß nicht einmal mehr, wie sie aussah, aber für mich war sie Jungfrau und Prostituierte, sie war das Ewig-Weibliche. Und ich zitterte sehr davor.« Er hatte instinktiv einen feierlichen Ton angenommen, um seine ironische Absicht auszudrücken, wissend, dass er sich von den unschuldigen Sehnsüchten der Erinnerung hatte forttragen lassen. »Ich fragte mich und hatte die anderen gefragt, warum dieser Remo, der zu den Schwarzen Brigaden gehörte, sich so unverhüllt zeigen konnte, auch in den Monaten, in welchen *** nicht von den Faschisten besetzt war. Und man hatte mir gesagt, es werde gemunkelt, er habe sich bei den Partisanen infiltriert. Ob das nun stimmte oder nicht, eines Abends sehe ich ihn wieder in demselben schwarzen Fiat, mit denselben schwarzen Zähnen, wie er dasselbe blonde Mädchen küsst, aber jetzt mit einem roten Tuch um den Hals und in einem Khakihemd. Er war zu den kommunistischen Partisanen übergewechselt. Alle feierten ihn, und er hatte sich auch einen Nom de guerre zugelegt: X9, wie der Held in den Comics von Alex Raymond, die er im Avventuroso gelesen hatte. Bravo, X9, sagten alle zu ihm ... Und ich hasste ihn noch mehr, weil er jetzt das Mädchen mit Zustimmung des Volkes besaß. Aber einige munkelten, er wäre ein unter die Partisanen infiltrierter Faschist, und ich glaube, das waren die, die das Mädchen begehrten, aber so war's, X9 wurde verdächtigt ... «
»Und dann?«
»Hören Sie, Casaubon, warum interessieren Sie sich so für meine Angelegenheiten?«
»Weil Sie erzählen, und Erzählungen sind Fakten des kollektiven Imaginären.«
»Good point. Also, eines Morgens begab sich X9 aufs flache Land hinaus, vielleicht hatte er sich mit dem Mädchen in den Feldern verabredet, um über jenes kümmerliche Petting hinauszugelangen und ihr zu zeigen, dass seine Rute weniger kariös war als seine Zähne – entschuldigt, ich kann
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