Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
Treffens wegen hierher kommt. Er will nämlich, wie der Abt von Conques mir schreibt, weiter nach Süden reisen. Außerdem hat Johannes, wie ich demselben Schreiben entnehme, den Kardinal Bertrand del Poggetto gebeten, sich aus Bologna hierher zu begeben, um die Leitung der päpstlichen Legation zu übernehmen. Vielleicht hat Bernard lediglich vor, sich hier mit dem Kardinal zu treffen.«
    »Was vielleicht, in einer weiteren Perspektive gesehen, noch schlimmer wäre. Bertrand ist die Geißel der Ketzer in Mittelitalien. Womöglich ist diese Begegnung zweier so hervorstechender Protagonisten des antihäretischen Kampfes nur das Vorspiel zu einer groß angelegten Offensive, die sich am Ende gegen die ganze Franziskanerbewegung richtet...«
    »Wohlan, darüber werden wir unverzüglich den Kaiser ins Bild setzen«, sagte der Abt entschieden. »In diesem Falle wäre jedoch die Gefahr keine unmittelbare. Gehabt Euch wohl, wir werden auf der Hut sein.«
    Sprach’s und ging erhobenen Hauptes davon, während William ihm schweigend nachsah. Dann wandte er sich zu mir und sagte: »Vor allem, mein lieber Adson, seien wir auf der Hut vor übereilten Schritten. Die Dinge lassen sich nicht rasch lösen, wenn man so viele kleine und kleinste Details zusammentragen muss. Ich gehe jetzt erst einmal in die Werkstatt zurück, denn ohne die Linsen kommen wir keinen Schritt weiter, weder wird es mir gelingen, Venantius’ Handschrift zu entziffern, noch wird es sinnvoll sein, heute Nacht erneut die Bibliothek zu erforschen. Du gehst jetzt am besten und erkundigst dich, ob man inzwischen etwas von Berengar weiß.«
    In diesem Augenblick kam Nicolas von Morimond gelaufen und brachte uns schlimme Nachricht: Beim Versuch, die beste Linse, auf die mein Meister die größte Hoffnung gesetzt hatte, noch ein wenig zu schleifen, war sie ihm unter den Händen zerbrochen. Und eine weitere, die vielleicht als Ersatz hätte dienen können, war gesprungen, als er sie in den Metallring einzusetzen versuchte. Untröstlich stand der wackere Glaser vor uns, rang verzweifelt die Hände und zeigte zum Himmel empor: Die Stunde der Vesper war gekommen, es begann schon dunkel zu werden – für heute war an ein Weitermachen nicht mehr zu denken! Noch ein verlorener Tag, knurrte William grimmig und musste sich sehr beherrschen (wie er mir später gestand), dem Unglücksraben nicht an die Gurgel zu springen, der freilich auch ohnedies schon zerknirscht genug vor uns stand.
    Wir überließen ihn seiner Zerknirschung und gingen, uns nach Berengar zu erkundigen. Natürlich hatte ihn niemand gefunden.
     
    Lähmende Unschlüssigkeit überfiel uns, wir waren an einem toten Punkt angelangt. Alles schien zu stagnieren. Um unseren Geist ein wenig zu lüften, taten wir ein paar Schritte im Kreuzgang. William ging schweigend neben mir her, sichtlich in seine Gedanken vertieft. Nach einer Weile sah ich ihn plötzlich stehen bleiben und blicklos ins Leere starren. Kurz zuvor hatte er aus seiner Kutte ein wenig von jenem Kraut gezogen, das er, wie ich eingangs erwähnte, manchmal an Wald- und Wiesenrändern zu sammeln pflegte, und kaute nun selbstvergessen darauf herum. Es schien, als verschaffte es ihm auf eigentümliche Weise Erregung und Ruhe zugleich, denn er wirkte zwar völlig abwesend, aber von Zeit zu Zeit leuchteten seine Augen auf, als hätte sich gerade in seinem leeren Geist eine neue Idee entzündet; gleich darauf versank er dann wieder in jenen sonderbar aktiven, regen Stumpfsinn, den ich bei keiner anderen Person je beobachtet habe. Plötzlich murmelte er: »Ja, das wäre möglich...«
    »Was?« fragte ich.
    »Nun, ich habe gerade darüber nachgedacht, wie man sich im Labyrinth zurechtfinden könnte, und da ist mir eine Idee gekommen. Sie ist nicht leicht zu verwirklichen, aber es müsste gehen... Pass auf: Wir wissen, dass der Ausgang im Ostturm ist. Angenommen, wir hätten eine Maschine, die uns anzeigt, wo Norden ist. Was wäre dann?«
    »Dann bräuchten wir uns nur nach rechts zu drehen und gingen in östlicher Richtung. Oder wir machten kehrt und wüssten, dass wir nach Süden gingen. Aber selbst wenn es solch eine Zaubermaschine gäbe, bliebe das Labyrinth doch ein Labyrinth, und sobald wir ein paar Schritte nach Osten getan hätten, würden wir auf eine Wand stoßen, müssten folglich die Richtung ändern und wären bald wieder verloren...«
    »Gewiss, aber die Maschine, von der ich spreche, würde immer nach Norden zeigen, auch wenn wir die Richtung

Weitere Kostenlose Bücher