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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Wer weiß, was die in Moskau daraus machen. Womöglich packen sie meine Protokolle in ein trockenes bürokratisches Dokument ganz ohne schauerromantischen Hintergrund. Niemand würde das lesen wollen, ich hätte mein Leben damit verschwendet, eine zwecklose Zeugenaussage zu produzieren. Aber vielleicht ist gerade dies die Art, wie sich die Ideen meiner Rabbiner (es sind immer noch meine Rabbiner) in der Welt verbreiten und die Endlösung vorbereiten.
     
    * * *
     
    Irgendwo habe ich gelesen, dass es in der Avenue de Flandre hinten in einem alten Hof einen portugiesischen Judenfriedhof gibt. Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts stand dort ein Hotel eines gewissen Camot, der den Juden erlaubte (die in der Mehrheit Deutsche waren), ihre Toten in seinem Hinterhof zu begraben, fünfzig Francs für Erwachsene und zwanzig für Kinder. Dann war das Hotel an einen gewissen Matard übergegangen, einen Abdecker, der anfing, neben den Juden auch die Kadaver der Pferde und Rinder zu begraben, denen er das Fell abgezogen hatte. Die Juden protestierten, und die aus Portugal erwarben für ihre Toten ein kleines Grundstück nebenan, während die aus den anderen europäischen Ländern ein Terrain in Montrouge fanden.
    Anfang dieses Jahrhunderts war dann der Friedhof geschlossen worden, aber man kann noch hinein. Er enthält etwa zwanzig Grabsteine, einige hebräisch beschrieben und andere französisch. Ich fand eine kuriose Inschrift, die lautet: »Der höchste Gott hat mich im dreiundzwanzigsten Jahr meines Lebens zu sich gerufen. Ich ziehe meine jetzige Lage der Sklaverei vor. Hier ruht der selige Samuel Fernandez Patto, gestorben am 28. Prairial des zweiten Jahres der einen und unteilbaren Französischen Republik.« Genau das, was zusammengehört: Republikaner, Atheisten und Juden.
    Der Ort ist verwahrlost, aber er hat mir dazu verholfen, mir den Friedhof in Prag besser vorstellen zu können, von dem ich ja nur Bilder gesehen habe. Ich bin ein guter Erzähler gewesen, ich hätte ein Künstler werden können: Mit wenigen Strichen hatte ich einen magischen Ort errichtet, das dunkle und mondbleiche Zentrum einer Weltverschwörung. Warum habe ich mir meine Kreation entgleiten lassen? Ich hätte noch soviel mehr daraus machen können…
     
    * * *
     
    Ratschkowski ist wiedergekommen. Er sagte, er brauche mich noch einmal. Ich wurde ärgerlich: »Sie halten unseren Pakt nicht ein. Ich dachte, wir wären quitt. Ich habe Ihnen nie gesehenes Material gegeben, und Sie haben über meine Kloake geschwiegen. Eigentlich bin ich es, der noch etwas von Ihnen erwartet. Sie werden nicht annehmen, dass solch ein kostbares Material gratis war.«
    »Sie sind es, der unseren Pakt nicht einhält. Die Dokumente waren der Preis für mein Schweigen. Jetzt wollen Sie auch noch Geld. Also gut, ich diskutiere darüber nicht, dann ist das Geld eben der Preis für die Dokumente und Sie schulden mir noch etwas für mein Schweigen über die Kloake. Und außerdem, Simonini, wir handeln hier nicht wie auf dem Basar, Sie täten gut daran, mich nicht ärgerlich zu machen. Ich habe Ihnen gesagt, dass es für Frankreich von essentieller Bedeutung ist, das Bordereau als echt anzusehen, aber das gilt nicht für Russland. Es würde mich nichts kosten, Sie der Presse zum Fraß vorzuwerfen. Sie würden den Rest Ihres Lebens in Gerichtssälen verbringen. Ach ja, ich vergaß: Um mir ein Bild von Ihrer Vergangenheit zu machen, habe ich mit diesem Pater Bergamaschi gesprochen und mit Monsieur Hébuterne, und beide haben mir gesagt, Sie hätten ihnen einen Abbé Dalla Piccola geschickt, der die Taxil-Affäre aufgezogen habe. Ich habe versucht, diesen Abbé zu finden, aber er scheint sich in Luft aufgelöst zu haben, zusammen mit all denen, die an der Taxil-Affäre mitgewirkt haben in einem Haus in Auteuil, außer Taxil selbst, der in Paris umherirrt, ebenfalls auf der Suche nach diesem verschwundenen Abbé. Ich könnte Sie des Mordes an Dalla Piccola beschuldigen.«
    »Es gibt keine Leiche.«
    »Es gibt vier andere Leichen hier unten. Wer diese vier in einer Kloake versteckt hat, kann leicht auch eine fünfte woanders entsorgt haben.«
    Der Kerl hatte mich in der Hand. »Also gut«, gab ich nach, »was wollen Sie?«
    »In dem Material, das Sie Golowinski gegeben haben, gibt es etwas, das mich sehr frappiert hat: die Idee, die Tunnel der Untergrundbahnen zu benutzen, um die großen Städte in die Luft zu jagen. Aber damit die Sache glaubwürdig wird, müsste tatsächlich mal

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