Die historischen Romane
sei’s wegen des Weines oder aus echter Leidenschaft, aus religiöser oder politischer – glänzten vor Erregung.
»Das wird ein exemplarischer Text werden«, sagte er, »aus dem ihr tiefer Hass hervorgehen wird, den sie als Rasse und als Religion hegen. Diese Seiten brodeln geradezu von Hass, er scheint aus einem Gefäß voller Galle überzulaufen… Viele werden begreifen, dass es Zeit für die Endlösung wird.«
»Den Ausdruck habe ich schon mal gehört. Von Osman-Bey, kennen Sie ihn?«
»Vom Hörensagen. Aber es ist evident, diese verfluchte Rasse muss um jeden Preis ausgelöscht werden.«
»Ratschkowski ist nicht dieser Ansicht, er sagt, er brauche die Juden lebendig, um einen guten Feind zu haben.«
»Unsinn. Ein guter Feind findet sich immer. Und glauben Sie nicht, dass ich, weil ich für Ratschkowski arbeite, alle seine Ideen teile. Er selber hat mich gelehrt, dass man, während man für seinen heutigen Chef arbeitet, sich schon auf seinen morgigen Chef vorbereiten muss. Ratschkowski ist nicht ewig. Im Heiligen Russland gibt es radikalere Leute als ihn. Die westeuropäischen Regierungen sind zu furchtsam, um sich zu einer Endlösung zu entscheiden. Russland ist dagegen ein Land voller Energie und visionärer Hoffnung, das immer an eine totale Revolution denkt. Von dort haben wir uns die entscheidende Tat zu erwarten, nicht von diesen Franzosen, die immer noch mit égalité und fraternité herumeiern, oder von diesen tölpelhaften Deutschen, die zu keiner großen Tat fähig sind…«
Ich hatte es schon nach dem nächtlichen Gespräch mit Osman-Bey geahnt. Nach dem Brief meines Großvaters hatte Abbé Barruel seine Anklagen nicht mehr fortgesetzt, weil er ein allgemeines Massaker fürchtete, aber was mein Großvater sich gewünscht hatte, war vermutlich das, was Osman-Bey und Golowinski vorschwebte. Vielleicht hatte mein Großvater mich dazu verurteilt, seinen Traum zu verwirklichen. O Gott, ein ganzes Volk auszurotten, zum Glück musste ich es nicht selber tun, aber meinen bescheidenen Beitrag leistete ich gerade dazu.
Und im Grunde war es auch eine einträgliche Unternehmung. Die Juden würden mich niemals dafür bezahlen, dass ich alle Christen ausrottete, sagte ich mir, denn Christen gibt es einfach zu viele, und wenn es möglich wäre, würden sie selbst dafür sorgen. Bei den Juden dagegen wäre es, alles in allem, möglich.
Ich musste sie ja nicht selbst liquidieren – ich, der ich (im allgemeinen) vor physischer Gewalt zurückschrecke –, aber ich wusste schon, wie man vorgehen müsste, denn ich hatte die Tage der Pariser Kommune erlebt. Nimm gut trainierte und gut indoktrinierte Brigaden, und jede Person mit krummer Nase und krausem Haar, die dir begegnet, an die Wand mit ihr! Es können auch ein paar Christen dazwischengeraten, aber wie jener Bischof sagte, der das von den Albigensern besetzte Béziers angreifen musste: Tötet sie alle, Gott wird die Seinen erkennen.
Es steht in ihren Protokollen geschrieben: Der Zweck heiligt die Mittel.
27.
Abgebrochenes Tagebuch
20. Dezember 1898
Nachdem ich Golowinski alles ausgehändigt hatte, was mir noch von meiner Sammlung für die Protokolle vom Friedhof geblieben war, fühlte ich mich irgendwie leer. Wie ein Student nach dem Examen fragte ich mich: »Und jetzt?« Seitdem ich auch von meiner Persönlichkeitsspaltung geheilt war, hatte ich niemanden mehr, dem ich von mir erzählen konnte.
Ich hatte die Arbeit eines Lebens beendet, die mit der Lektüre des Joseph Balsamo von Dumas begonnen hatte, auf dem Dachboden in Turin. Ich denke an Großvater, an seine ins Leere gerichteten Augen, wenn er das Gespenst von Mordechai beschwor. Auch dank meines Werkes nähern sich nun die Mordechais aller Welt einem majestätischen und entsetzlichen Scheiterhaufen. Aber was ist mit mir? Es gibt eine Melancholie der erfüllten Pflicht, die größer und ungreifbarer ist als diejenige, die man auf Dampfschiffen kennt.
Ich fabriziere weiter eigenhändige Testamente und verkaufe immer noch gut zehn Hostien pro Woche, aber Hébuterne will nichts mehr von mir, vielleicht hält er mich für zu alt, und schweigen wir von den Leuten im Generalstab, wo mein Name selbst in den Köpfen derer ausgetilgt worden sein muss, die ihn noch gekannt hatten – wenn es davon noch welche gibt, seit Sandherr gelähmt in irgendeiner Klinik liegt und Esterházy in einem Londoner Luxusbordell Bakkarat spielt.
Nicht dass ich Geld bräuchte, ich habe genug auf dem Konto, aber
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