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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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sagten, nämlich Ja und Amen zur Meinung der heiligen Mutter Kirche. Doch Michele erwiderte hart: »Ich glaube an den gekreuzigten armen Christus.« Woraufhin der Bannerträger mit hängenden Armen davonging. Dann kamen der Hauptmann und seine Männer und schleppten Michele hinaus in den Hof, wo der Stellvertreter des Bischofs stand und ihm erneut das Geständnis vorlas und das Urteil. Michele aber protestierte erneut gegen falsche Anschuldigungen, er habe gewisse Ansichten nie geäußert. Wobei es um so subtile Dinge ging, dass ich sie heute vergessen habe und damals nicht recht verstand, doch auf ihnen beruhte anscheinend das Todesurteil und überhaupt die ganze Verfolgung der Fratizellen. Und ich konnte nicht recht begreifen, warum Männer der Kirche und des weltlichen Arms sich derart erregten über einfache Leute, die in Armut leben wollten und der Meinung waren, dass Christus keine weltlichen Güter besessen habe. Denn eigentlich, so sagte ich mir, hätten sie sich doch viel eher fürchten müssen vor jenen, die in Reichtum leben wollten und danach trachteten, anderen ihr Geld wegzunehmen und die Kirche in Sünde zu stürzen und simonistische Praktiken einzuführen. Und ich sprach darüber mit einem, der neben mir stand, denn die Frage quälte mich sehr. Er aber lachte höhnisch und sagte, ein Frater, der in Armut lebe, sei eben ein schlechtes Beispiel für das Volk, denn es verliere dann seine Ehrfurcht vor den anderen Fratres, die nicht in Armut leben; und außerdem, so fügte er hinzu, pflanze die Predigt der Armut den Leuten falsche Ideen ins Hirn, so dass sie womöglich noch anfingen, auf ihre eigene Armut stolz zu sein, und Stolz führe bekanntlich zu mancherlei Akten der Hoffart; und schließlich müsste mir doch wohl klar sein, dass man (er wisse selber nicht recht, aufgrund welcher Logik), wenn man die Armut für die Fratres predige, auf der Seite des Kaisers stehe, was natürlich dem Papst nicht gefalle. Lauter sehr gute Gründe, so schien mir, mochten sie auch von einem Mann mit geringer Bildung genannt worden sein. Nur dass ich nun nicht begriff, warum dann Michele einen so entsetzlichen Tod erleiden wollte, um dem Kaiser einen Gefallen zu tun oder um eine Streitfrage zwischen Orden zu schlichten. Und tatsächlich rief einer aus der Menge: »Er ist kein Heiliger, er ist vom Kaiser ausgeschickt worden, um Zwietracht unter den Bürgern zu säen, und die Fratizellen sind zwar Toskaner, aber hinter ihnen stehen die Gesandten des Reiches!« Und andere riefen: »Er ist ein Narr, er ist vom Dämon besessen und aufgeblasen vor Stolz, er genießt sein Martyrium in gottloser Hoffart!« Und wieder andere: »Nein, wir bräuchten viele Christen wie diesen, bereit, ihren Glauben zu bezeugen wie einst in den Zeiten der Heiden!« Und während ich all diese Stimmen hörte und nicht mehr wusste, wo mir der Kopf stand, geschah es, dass ich dem Verurteilten, den die Menge bisher meinen Blicken verborgen hatte, auf einmal direkt ins Angesicht sehen konnte. Und ich sah das Angesicht eines Menschen, der etwas erschaut, das nicht von dieser Welt ist, leuchtend in einer Verklärung, wie man sie zuweilen auf Bildern von visionär entrückten Heiligen sieht. Und jäh begriff ich, dass dieser Mensch, ob Narr oder Seher, klarsichtig sterben wollte , weil er glaubte, durch seinen Tod seine Feinde besiegen zu können, wer immer sie waren. Und ich begriff auch, dass seinem Beispiel noch viele weitere folgen würden. Nur bestürzte mich seine ungeheuerliche Entschlossenheit – weiß ich doch heute noch nicht, was in solcherart todesmutigen Menschen überwiegt: eine stolze Liebe zu ihrer Wahrheit, für die sie in den Tod zu gehen bereit sind, oder ein stolzes Verlangen nach Tod, um dessentwillen sie ihre Wahrheit bezeugen, welche immer es sei. Und so bin ich, wenn ich daran denke, heute noch hin- und hergerissen zwischen Bewunderung und Entsetzen.
    Doch zurück zu Micheles Hinrichtung, denn inzwischen strömten die Florentiner von allen Seiten herbei.
    Der Hauptmann und seine Männer führten den Todeskandidaten durch die Gassen der Stadt zum Tor hinaus. Er war nur mit seinem Hemd bekleidet, das ihm am Halse weit offenstand, und er ging gemessenen Schrittes, das Haupt gesenkt, auf den Lippen Worte, die wie Gebete eines Märtyrers klangen. Und eine riesige Menschenmenge begleitete ihn, dass man es kaum glauben mochte, und viele riefen: »Nicht sterben! Du sollst nicht sterben!« und er rief zurück: »Ich will sterben für

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