Die historischen Romane
versetzt wie übermäßiger Weingenuss. Der schwarze Nieswurz ruft schon bei leichter Berührung Durchfall hervor. Andere Pflanzen verursachen Herzklopfen oder Kopfweh, wieder andere rauben einem die Stimme. Das Viperngift dagegen bewirkt, wenn es lediglich auf die Haut gelangt, ohne ins Blut einzudringen, nur ein leichtes Jucken. Einmal ist mir allerdings eine Mischung gezeigt worden, die, wenn man sie einem Hund auf die Innenseite der Schenkel nahe den Genitalien streicht, das Tier binnen Kurzem verenden lässt, und zwar in grässlichen Krämpfen, bei denen die Glieder allmählich erstarren...«
»Du weißt viel über Gifte«, sagte William mit einem bewundernden Unterton in der Stimme. Severin sah ihn an und hielt seinem Blick stand. »Ich weiß«, sagte er schließlich kühl, »was ein Medikus und Botanikus, ein Diener der menschlichen Heilkunde wissen muss.«
William verharrte eine Weile in nachdenklichem Schweigen. Dann bat er Severin, den Mund des Toten zu öffnen und die Zunge zu untersuchen. Neugierig nahm der Botanikus einen feinen Spatel, eines seiner ärztlichen Instrumente, und tat, wie ihm geheißen. Kurz darauf rief er verblüfft: »Die Zunge ist schwarz!«
»So ist das also«, murmelte William. »Er hat etwas mit den Fingern ergriffen und verschluckt... Damit entfallen all jene eben genannten Gifte, die schon durch Berührung der Haut zu töten vermögen. Was unsere Aufgabe allerdings nicht erleichtert, denn wir müssen nun – bei ihm wie auch bei Venantius – einen freiwilligen Akt in Erwägung ziehen, eine absichtliche, nicht zufällige, nicht durch ein Versehen oder durch fremde Gewalt verursachte Handlung: Beide haben etwas genommen und sich in den Mund eingeführt, wobei sie sich ihres Tuns bewusst waren...«
»Aber was? Eine Speise? Ein Getränk?«
»Möglich. Oder auch... was weiß ich, ein Musikinstrument, vielleicht eine Flöte?«
»Absurd!«
»Sicher ist das absurd, aber wir dürfen keine Hypothese außer Acht lassen, so ausgefallen sie auch sein mag. Kommen wir nochmal zurück zu den Giften. Wenn jemand, der von Giften so viel versteht wie du, hier eingedrungen wäre und einige deiner Kräuter entwendet hätte, so hätte er doch gewiss ein tödliches Zeug mischen können, das solche Spuren auf den Fingern hinterlassen würde, nicht wahr? Eine Substanz, die er in eine Speise oder in ein Getränk geben könnte, auf einen Löffel oder auf irgendetwas, das man in den Mund steckt?«
»Gewiss«, bestätigte Severin. »Aber wer sollte das tun? Und selbst wenn wir die Hypothese gelten lassen, wie hätte er dann das Gift unseren beiden armen Mitbrüdern verabreicht?«
Auch ich konnte mir offen gesagt nicht vorstellen, dass Venantius oder Berengar sich bereitgefunden hätten, jemanden an sich herankommen zu lassen, der ihnen eine geheimnisvolle Substanz anbot mit der Aufforderung, sie zu verschlucken. Doch meinen Meister schien diese Sonderbarkeit nicht zu stören. »Darüber werden wir später nachdenken«, sagte er. »Jetzt möchte ich dich erst einmal bitten, ein wenig in deinem Gedächtnis zu graben. Vielleicht fällt dir etwas ein, woran du bisher nicht gedacht hast. Hat dir in letzter Zeit jemand Fragen über die Kräuter gestellt? Jemand, der sich leicht Zutritt zum Hospital verschaffen kann?«
»Warte mal«, sagte Severin und überlegte. »Vor langer Zeit, es ist schon einige Jahre her, hatte ich auf einem dieser Regale ein hochkonzentriertes Gift. Ein Mitbruder hatte es mir aus fernen Ländern mitgebracht, er wusste selbst nicht genau, woraus es bestand, vermutlich aus Kräutern, die hierzulande unbekannt sind. Es war ein dickflüssiges gelbliches Zeug, aber er riet mir, es nicht zu berühren, denn falls etwas davon auf meine Lippen käme, würde ich unweigerlich binnen kurzer Zeit sterben. Der Mitbruder sagte, selbst wenn man nur eine winzige Menge davon einnähme, würde sich nach spätestens einer halben Stunde ein Gefühl von großer Mattigkeit einstellen, dann eine langsame Lähmung aller Glieder und schließlich der Tod. Er wollte das Gift nicht bei sich behalten und schenkte es mir. Ich bewahrte es jahrelang auf, denn ich hatte immer die Absicht, es einmal genauer zu untersuchen. Dann tobte eines Tages ein heftiger Sturm über das Plateau. Einer meiner Gehilfen, ein Novize, hatte dummerweise die Tür offengelassen, so dass der Sturm den ganzen Raum, in dem wir uns hier befinden, schrecklich verwüstete. Überall lagen zerbrochene Gläser, vergossene Flüssigkeiten,
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