Die historischen Romane
verstreute Kräuter und Pulver herum. Ich brauchte einen ganzen Tag, um wieder Ordnung zu schaffen, und helfen ließ ich mir nur beim Fortschaffen der Scherben sowie der unbrauchbar gewordenen Kräuter. Am Ende musste ich feststellen, dass genau die Flasche mit dem tödlichen Gift nicht mehr da war. Anfangs machte ich mir große Sorgen, dann sagte ich mir, dass sie wohl zerbrochen und mit den anderen Abfällen weggeworfen worden war. Ich ließ den Fußboden und die Regale gründlich reinigen...«
»Und kurz vor dem Sturm hattest du die Flasche noch gesehen?«
»Ja... beziehungsweise nein, wenn ich's genau bedenke. Sie stand gut versteckt hinter einer Reihe von Krügen, und ich hatte nicht jeden Tag nachgesehen, ob sie noch da war...«
»Also hätte sie dir auch schon vor dem Sturm gestohlen worden sein können, ohne dass es dir aufgefallen wäre?«
»Jetzt, wo ich darüber nachdenke: ja, zweifellos...«
»Und dein Novize hätte sie gestohlen und dann, als der Sturm kam, die Tür absichtlich offengelassen haben können, um bei dieser Gelegenheit deine Sachen durcheinanderzubringen?«
»Ja, sicher!« Severin war jetzt sehr aufgeregt. »Und jetzt fällt mir auch ein: Es kam mir damals recht sonderbar vor, dass der Sturm, wie heftig er auch gewesen sein mochte, ein so großes Durcheinander angerichtet hatte. Es sah wirklich ganz danach aus, als hätte sich jemand die Gelegenheit zunutze gemacht, um das Laboratorium völlig zu verwüsten...«
»Wer war jener Novize?«
»Er hieß Augustin. Aber er ist letztes Jahr gestorben – von einem Gerüst gestürzt, beim Reinigen der Skulpturen am Kirchenportal... Und außerdem, wenn ich's recht bedenke, hatte er damals Stein und Bein geschworen, dass er die Tür nicht offengelassen hätte vor dem Sturm. Ich war es, der ihn hinterher in meiner Wut dafür verantwortlich machte. Vielleicht war er wirklich unschuldig.«
»So gab es mithin einen Dritten, der über dein Gift Bescheid wusste und der womöglich sehr viel erfahrener war als ein Novize. Mit wem hattest du darüber gesprochen?«
»Das weiß ich wirklich nicht mehr. Zweifellos mit dem Abt, ich musste ihn schließlich um Erlaubnis bitten, ein so gefährliches Zeug bei mir aufzubewahren. Sicher auch mit einigen anderen, vermutlich im Skriptorium, als ich nach Herbarien suchte, die mir Aufschluss über die Zusammensetzung geben könnten.«
»Sagtest du mir nicht neulich, dass du die wichtigsten kräuterkundlichen Werke im Hospital hast?«
»Gewiss, eine ganze Reihe sogar.« Severin deutete stolz in eine Ecke, wo mehrere Dutzend Folianten auf den Regalen standen. »Aber ich suchte damals gewisse Bücher, die ich nicht bei mir haben durfte und die auch Malachias nicht ohne Sondererlaubnis des Abtes herzeigen wollte.« Er senkte Stimme, als wollte er nicht, dass ich seine Worte verstand. »Weißt du, in einem verborgenen Winkel der Bibliothek werden nämlich auch Werke der Negromantik aufbewahrt, Schriften über Schwarze Magie und Teufelsrezepte. Einige dieser Werke durfte ich schließlich zu Zwecken der Wissenschaft konsultieren, und ich hoffte, womöglich eine Beschreibung des Giftes und seiner Wirkungen darin zu finden. Aber vergebens.«
»Demnach hattest du mit Malachias darüber gesprochen?«
»Natürlich, ja, und vielleicht auch mit Berengar, der damals bereits sein Gehilfe war. Aber bitte zieh daraus keine voreiligen Schlüsse, es waren gewiss auch andere Mönche in der Nähe, die es mitgehört haben könnten. Du weißt, das Skriptorium ist manchmal ganz schön voll...«
»Ich verdächtige niemanden. Ich versuche mir nur ein möglichst genaues Bild zu machen. In jedem Fall ist die Sache, wie du sagst, schon ein paar Jahre her, und da frage ich mich... Nun ja, findest du es nicht auch höchst merkwürdig, dass jemand so lange im Voraus ein Gift entwendet haben sollte, um es erst jetzt zu benutzen? Das würde ja heißen, dass hier schon seit langer Zeit ein böser Wille im Dunkeln lauert und Mordpläne hegt...«
Severin bekreuzigte sich, in seinem Blick lag Entsetzen. »Gott sei uns allen gnädig!«
Mehr gab es in der Tat nicht zu sagen. Wir deckten die Leiche Berengars wieder zu. Sie musste nun hergerichtet werden für die Begräbnisfeier.
Vierter Tag
PRIMA
Worin William zunächst Salvatore, dann auch den Cellerar dazu bringt, ihre Vergangenheit zu gestehen; außerdem findet Severin die gestohlenen Linsen, Nicolas bringt die neuen, und William geht bewehrt mit sechs Augen daran, das Manuskript des
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