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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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er schamlos und zwinkerte schlüpfrig, als wollte er uns zu verstehen geben, er rede hier schließlich mit Männern von Welt, denen solche Praktiken durchaus geläufig seien. Besonders mir warf er mehrfach schamlose Blicke zu, die ich leider nicht mit der gebotenen Strenge zurückweisen konnte, da ich mich ihm durch ein schlimmes Geheimnis verbunden fühlte als sein Komplize und Sündengenosse.
    An diesem Punkt beschloss William, den Stier bei den Hörnern zu packen, und fragte brüsk: »Hast du Remigius kennengelernt, bevor oder nachdem du bei Fra Dolcino warst?«
    Salvatore brach regelrecht zusammen, umschlang Williams Knie und bat ihn schluchzend, er möge ihn nicht ins Verderben stürzen und der Inquisition übergeben. William versicherte, dass er niemandem etwas verraten werde, worauf der Gute nicht länger zögerte, uns den Cellerar auszuliefern: Ja, sie hätten sich auf der Parete Calva kennengelernt, beide als Mitglieder in Dolcinos Bande; sie seien dann beide geflohen, ins Konvent von Casale gegangen und später gemeinsam zu den Cluniazensern übergetreten. Stammelnd und schluchzend flehte der Ärmste um Gnade, und es war klar, dass wir nichts weiter aus ihm herausbringen würden. So beschloss William, sich nun auch den Cellerar vorzuknöpfen, und entließ Salvatore, der eilends mit wehender Kutte in Richtung der Kirche entschwand.
    Wir fanden Remigius am anderen Ende der Abtei bei den Kornspeichern, wo er gerade mit einigen Bauern aus dem Tal verhandelte. Er blickte uns unsicher an und tat sehr beschäftigt, doch William beharrte darauf, dass er ihn unbedingt sprechen müsse. Bisher hatten wir mit diesem Manne nicht viel zu tun gehabt, er war uns höflich begegnet und wir ihm desgleichen. Nun aber sprach ihn William an, als wäre er noch ein Mitbruder seines Ordens. Der Cellerar schien verwirrt über diese Vertraulichkeit und reagierte zunächst mit großer Vorsicht.
    »Ich nehme an, dass dein Amt dich zwingt«, begann William, »auch nachts, wenn die anderen schlafen, in der Abtei nach dem Rechten zu sehen?«
    »Das hängt davon ab«, antwortete Remigius vage. »Manchmal sind kleinere Angelegenheiten zu erledigen, für die ich ein paar Stunden meines Schlafes opfern muss.«
    »Hast du bei diesen Gelegenheiten in letzter Zeit nichts bemerkt, das uns einen Hinweis geben könnte, wer sich hier nachts und ohne deine Rechtfertigung zwischen Küche und Bibliothek zu schaffen macht?«
    »Hätte ich etwas bemerkt, so hätte ich es dem Abt gesagt.«
    »Natürlich«, nickte William und wechselte unvermittelt das Thema: »Das Dorf unten im Tal ist nicht sehr reich, oder?«
    »Wie man's nimmt. Eine Anzahl der Bauern sind Präbendare, abhängige Pfründner, die ein Stück Land der Abtei bewirtschaften und in fetten Jahren teilhaben an unserem Reichtum. Heuer zum Beispiel erhielten sie zu Johannis zwölf Scheffel Malz, ein Pferd, sieben Ochsen, einen Stier, vier Fohlen, fünf Kälber, zwanzig Schafe, fünfzig Hühner und siebzehn Bienenstöcke. Dazu vierzig geräucherte Schweinehälften, siebenundzwanzig Tiegel Schmalz, ein halbes Fass Honig, drei Kessel Seife, ein Fischnetz...«
    »Gut, gut, ich habe verstanden«, unterbrach ihn William. »Aber du wirst mir zugeben, dass dies alles noch nicht besagt, wie die Dörfler leben, wie viele von ihnen Präbendare sind und wie viel Land ein unabhängiger Bauer zu bestellen hat.«
    »Oh, was das betrifft«, erklärte Remigius, »eine normale Familie hat etwa fünfzig Tafeln.«
    »Wie viel ist eine Tafel?«
    »Vier Trabucchi im Quadrat natürlich.«
    »Trabucchi im Quadrat? Wie viel ist das?«
    »Sechsunddreißig Fuß im Quadrat pro Trabucco. Anders gesagt, achthundert lineare Trabucchi sind eine piemontesische Meile. Du kannst rechnen, dass eine Familie – und zwar in den Tälern nach Norden – Oliven für mindestens einen halben Sack Öl anbauen kann.«
    »Einen halben Sack?«
    »Ja, ein Sack macht fünf Eminen, eine Emine acht Kannen.«
    »Verstehe«, sagte William entmutigt. »Jedes Land hat seine eigenen Maße. Den Wein zum Beispiel messt ihr nach Humpen, nicht wahr?«
    »Oder nach Kruken. Sechs Kruken sind eine Kufe, acht Kufen ein Fass. Oder andersherum, eine Kruke hat sechs Pint zu je zwei Kannen.«
    »Ich glaube, jetzt sehe ich klar«, sagte mein Meister resigniert.
    »Willst du noch mehr wissen?« fragte der Cellerar in einem Ton, der mir herausfordernd klang.
    »Oh ja! Ich habe dich nach dem Leben im Dorf gefragt, weil ich nämlich heute früh im Skriptorium

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