Die historischen Romane
den Wunsch des Papstes nach einem Verbleiben in Avignon schon verstehen, und ich diskutiere ihn nicht. Aber der Papst wird auch unseren Wunsch nach Armut und unsere Auslegung des Exempels Christi nicht diskutieren können.«
»Sei nicht naiv, Michael«, erwiderte William. »Euer Wunsch, unser Wunsch lässt den seinen in einem trüben Licht erscheinen. Sei dir bitte darüber im Klaren, dass seit Jahrhunderten kein so Habgieriger mehr auf dem Papstthron gesessen hat. Die Huren von Babylon, gegen die einst unser Freund Ubertin wetterte, die korrupten Päpste, von welchen die Dichter deines Landes sprechen wie jener Dante Alighieri, waren sanfte Lämmer im Vergleich zu diesem Johannes! Er ist eine diebische Elster, schlimmer als ein jüdischer Wucherer, und in Avignon wird mehr Schacher getrieben als in Florenz! Ich denke zum Beispiel an jene schändliche Transaktion mit dem Neffen von Clemens, Bertrand de Goth, demselben, der das Massaker von Carpentras veranstaltet hatte (bei dem die Kardinäle unter anderem um ihren ganzen Schmuck erleichtert wurden): Er hatte sich den Schatz seines Onkels unter den Nagel gerissen, und das war nicht wenig, und Johannes wusste genau darüber Bescheid (in Cum venerabiles zählt er exakt die Reichtümer auf: die Münzen, die Gold- und Silberschalen, die Bücher, die Teppiche, die Edelsteine, das Geschmeide...). Doch er tat so, als ob er nicht wüsste, dass Bertrand sich bei der Plünderung von Carpentras um mehr als anderthalb Millionen Goldflorin bereichert hatte, und diskutierte mit ihm über weitere dreißigtausend, die der Neffe von seinem Onkel ›für einen frommen Zweck‹ erhalten zu haben gestand, das heißt für einen Kreuzzug. Sie einigten sich darauf, dass Bertrand die Hälfte der Summe für den Kreuzzug verwenden und die andere Hälfte an den Heiligen Stuhl zurückgeben sollte. Freilich hat Bertrand den Kreuzzug dann nie unternommen, jedenfalls nicht bis zum heutigen Tage, und der Papst hat nie einen Gulden von seiner Hälfte gesehen...«
»Dann ist er wohl doch nicht ganz so gerissen«, warf Michael ein.
»Es war das einzige Mal, dass er sich in Geldsachen übers Ohr hauen ließ«, ergriff Ubertin wieder das Wort. »Du musst wissen, mit was für einem Geschäftemacher du es zu tun hast. In allen übrigen Fällen hat er ein geradezu diabolisches Talent im Raffen bewiesen. Er ist ein König Midas: Alles, was er berührt, wird zu Gold und fließt in die Kassen Avignons. Jedesmal, wenn ich seine Gemächer betrat, fand ich dort Bankiers und Geldwechsler, Tische voller Goldmünzen und Kleriker, die sie zählten, säuberlich Gulden auf Gulden häufend...Und was für einen Palast er sich hat errichten lassen, mit Reichtümern, wie man sie einst nur dem Kaiser von Byzanz oder dem Großkhan der Tataren zuschrieb! Verstehst du jetzt, warum er so viele Bullen gegen die Idee der Armut ausgesandt hat? Du weißt vielleicht, dass er die Dominikaner dazu getrieben hat, in ihrem Hass auf unseren Orden Christusstatuen zu skulpieren, die den Heiland mit Königskrone, im Purpurmantel mit Goldbesatz und in prächtigen Stiefeln zeigen! In gibt es Kruzifixe, auf denen Jesus nur mit einer Hand ans Kreuz genagelt ist, die andere berührt einen prallen Geldbeutel, der an seinem Gürtel hängt, um anzudeuten, dass ER den Gebrauch des Geldes zu frommen Zwecken autorisiere...«
»Oh, wie schamlos!« rief Michael aus. »Das ist die reinste Gotteslästerung!«
»Ferner hat Johannes«, ergänzte William, »die päpstliche Tiara um eine dritte Krone erweitert, nicht wahr, Ubertin?«
»Jawohl, zu Beginn des Jahrtausends hatte Papst Hildebrand eine erste angenommen mit der Inschrift Corona regni de manu Dei , vor ein paar Jahrzehnten hatte der ruchlose Bonifaz dann eine zweite hinzugefügt mit der Inschrift Diadema imperii de manu Petri , und Johannes hat schließlich das Symbol nur vervollständigt: drei Kronen, für die geistliche, die weltliche und die kirchliche Macht, ein Symbol der persischen Großkönige, ein heidnisches Symbol...«
Unter den Brüdern am Tisch saß einer, der bisher geschwiegen hatte, da er vollauf damit beschäftigt war, die guten Dinge, die der Abt hatte auftragen lassen, zu vertilgen. Er hatte den verschiedenen Reden ein zerstreutes Ohr geliehen, hin und wieder ein sarkastisches Lachen über den Papst ausgestoßen oder ein zustimmendes Grunzen über die Abscheubekundungen seiner Tischgenossen, ansonsten aber sich darauf beschränkt, sein Kinn von den Soßenresten zu säubern
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